Bundestagsabgeordneter Daniel Rinkert (SPD) aus Grevenbroich „Rheinland Klinikum kann von Lauterbach-Plan profitieren“

Interview | Rhein-Kreis · Die Zukunft des Rheinland Klinikums, die Folgen des Ukraine-Kriegs und der Silvesternacht im Rhein-Kreis Neuss – Positionen des SPD-Bundestagsabgeordneten Daniel Rinkert.

 Daniel Rinkert kam im Herbst als Nachrücker für einen verstorbenen Abgeordneten in den Bundestag. Bei der Wahl 2021 kam er im Wahlkreis Neuss I auf 32 Prozent, Hermann Gröhe (CDU) gewann mit 35,8 Prozent.

Daniel Rinkert kam im Herbst als Nachrücker für einen verstorbenen Abgeordneten in den Bundestag. Bei der Wahl 2021 kam er im Wahlkreis Neuss I auf 32 Prozent, Hermann Gröhe (CDU) gewann mit 35,8 Prozent.

Foto: SPD Landesgruppe NRW/Forck

Herr Rinkert, vor einem Jahr hat Wladimir Putin den Krieg gegen die Ukraine begonnen. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?

Daniel Rinkert Ich hatte zunächst keine Vorstellung, was das für uns alle bedeuten wird. Als Laie in der Außen- und Sicherheitspolitik waren die Folgen für die internationale Ordnung und natürlich auch für unser Land zunächst gar nicht zu überblicken. Überrascht war ich, wie positiv der Westen in dieser Situation zusammengehalten hat und noch zusammenhält. Dass die Nato heute so geschlossen ist und dass Europa so geschlossen reagiert, war nicht zu erwarten. Auch die Dauer des Krieges war zunächst nicht abzusehen. Überrascht haben die Stärke und Entschlossenheit, mit der sich die Ukraine verteidigt, aber eben auch die zahlreichen Sanktionen und später auch die Waffenlieferungen aus Europa.

Was gibt ihnen Hoffnung?

Rinkert Das Engagement vieler Privatleute und Initiativen, die Hilfstransporte organisieren und Geflüchteten ein Dach über dem Kopf geben. Deutschland hat mehr als eine Million Ukrainer fast geräuschlos aufgenommen. Wir erleben bei allem Schrecken und Leid des Krieges also durchaus auch positive Aspekte, die Hoffnung machen.

Wie geht es in der Ukraine weiter?

Rinkert Ich spreche darüber mit vielen Experten in Berlin – und auch die wissen es nicht. Man kann es seriös derzeit nicht vorhersehen. Wichtig ist, dass Europa und die USA weiter eng zusammenarbeiten. Die jüngsten Auftritte von US-Präsident Joe Biden in Kiew und Warschau waren deshalb wichtige Signale, an die Europäer, aber auch an Wladimir Putin. Wichtig wäre, dass die Bevölkerung in Russland solche Entwicklungen mitbekommt, so schwierig das auch ist. Vielleicht findet dann auch dort einmal ein Umdenken statt, möglicherweise auch bei den russischen Oligarchen, die von den Sanktionen am stärksten betroffen sind. Das könnte den russischen Präsidenten unter Druck setzen oder vielleicht zum Einlenken bewegen. Aber wer weiß schon, was sich in Putins Kopf bewegt?

Welche Haltung zum Krieg nehmen Sie im Rhein-Kreis wahr?

Rinkert Die Menschen haben Angst, dass der Krieg auch Deutschland und die Nato erreichen könnte. Vor allem die ältere Generation ist in Sorge. Auch deshalb ist es wichtig, deutlich zu machen, dass Europa und die USA zusammenstehen. Ohne die USA kann sich Europa nicht verteidigen. Vor diesem Hintergrund gibt es ein hohes Zutrauen der Menschen – über die Parteigrenzen hinweg – in die Arbeit von Bundeskanzler Olaf Scholz, dass er sich in seinen Entscheidungen eben nicht treiben lässt.

Erwarten die Menschen nicht mehr Empathie des Kanzlers in dieser Krisensituation?

Rinkert Die erläuternden Auftritte von Olaf Scholz haben deutlich zugenommen. Im Bundestag oder auch mehrfach im Fernsehen hat er seine Prinzipien und Handlungen ausführlich erklärt. Dass er sich die Ruhe bewahrt, ist ein hohes Gut. Das wird anerkannt, gerade auch von konservativen Wählern. Die wollen keinen Klamauk, der Laden soll einfach laufen.

Die Kommunen haben gerade einen Brandbrief an den Kanzler geschrieben, weil sie dringend mehr Unterstützung bei der Unterbringung Geflüchteter brauchen. Hätten Sie aus Sicht des Wahlkreises auch unterschrieben?

Rinkert Ich verstehe die Sorgen der Kommunen, bin in Grevenbroich selbst Kommunalpolitiker. Die Kommunen müssen vieles leisten. In Grevenbroich haben wir – einstimmig übrigens – neu Flächen für eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten ausgewiesen. Wir müssen auch auf künftige Flüchtlingswellen vorbereitet sein. Deshalb haben wir hohe Investitionen vor uns. Da muss es von allen Seiten Unterstützung geben.

Was kommt vom Bund?

Rinkert Der Bund hat die Kommunen im letzten Jahr mit 4,4 Milliarden unterstützt. Dieses Jahr sind es 2,75 Milliarden Euro. Zudem hat er viele Immobilien – wenn auch, mangels Angebot, nicht im Rhein-Kreis – zur Verfügung gestellt. Die Länder sind aber ebenso in der Pflicht, zu helfen. Nach dem Asylgesetz sind eigentlich die Länder zuständig. Trotzdem hilft der Bund mit. Alle Ebenen müssen gemeinsam ihre Verantwortung wahrnehmen.

Wird genug getan, um die Geflüchteten am gesellschaftlichen Leben, an Ausbildung und Arbeit teilhaben zu lassen?

Rinkert Ja, aber natürlich müssen wir noch mehr machen. Schon jetzt sind über 65.000 Menschen aus der Ukraine sozialversicherungspflichtig beschäftigt. 21.000 arbeiten in Minijobs. Die Sprache ist die Voraussetzung für gelingende Integration – auch in den Arbeitsmarkt. Daher müssen wir dort die Kapazitäten erweitern und Barrieren bei der Anerkennung von Bildungsabschlüssen abbauen. Vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels können wir den Menschen in der Ukraine eine gute Perspektive bieten. Bei aller Grausamkeit und Brutalität des Krieges, können wir ihnen zumindest hier etwas Hoffnung und Zuversicht geben.

Mit Preissteigerungen und Energieknappheit kommen Folgen des Krieges in jedem Haushalt an. Wie lange hält die Solidarität?

Rinkert Die Entlastungspakete, die ihre Wirkung entfalten konnten, haben dabei sehr geholfen: Wir hatten keinen Heißen-Herbst, keinen Wut-Winter, wir sitzen nicht im Kalten, eine lang befürchtete Rezession wird nicht kommen. Die Gemengelage ist also insgesamt schwierig, wir haben mit der Ampelkoalition aber Wege geschaffen, auf denen wir aus dieser Situation auch wieder herauskommen.

Die Silvesternacht, in Neuss auch die Hetzrede eines türkischen AKP-Politikers, haben eine Integrationsdebatte neu entfacht. Wie positionieren Sie sich?

Rinkert Wir erleben es gerade auch in Grevenbroich ganz konkret: Kriminelle sind dort unterwegs, die unvermittelt Menschen angreifen und niederschlagen. Das bekommen wir nur mit einer starken Präsenz von Polizei und kommunalen Ordnungsdiensten in den Griff. Objektiv, nach der Statistik, leben wir im Rhein-Kreis sehr sicher. Subjektiv ist aber mancherorts ein Gefühl der Angst vorhanden, dass etwas passieren könnte. Präsenz kann da helfen, andererseits braucht es ein gesellschaftliches Commitment, dass man sich so eben nicht verhält.

 Daniel Rinkert: „Wenn Räume entstehen – Beispiel Bahnhofsviertel Grevenbroich –, wo sich Menschen nicht an Regeln halten, dann muss man da reingehen.“

Daniel Rinkert: „Wenn Räume entstehen – Beispiel Bahnhofsviertel Grevenbroich –, wo sich Menschen nicht an Regeln halten, dann muss man da reingehen.“

Foto: Wolfgang Walter

Was ist die Konsequenz?

Rinkert Wir müssen nicht die Gesetze verschärfen, sondern müssen sie konsequent anwenden. Wenn eine Straftat verübt wird, muss sie durch die Justiz konsequent geahndet werden. Dass das nicht immer funktioniert, hat auch wieder mit dem Fachkräftemangel zu tun. Außerdem leben wir in einer Gesellschaft, in der immer alle gleich auf den Bäumen sind. Man versucht erst gar nicht, sich in andere Lebenswelten hineinzuversetzen oder ein Verständnis dafür aufzubauen. Dann werden Negativbeispiele wie jetzt in der Silvesternacht in Berlin hochgejazzt mit ein paar schnellen Schlagwörtern und Schlagzeilen, mit denen man dann ein Thema gesetzt hat. Das verhindert eine objektive Analyse eines Problems und oft auch adäquate Lösungen. Wenn Räume entstehen – Beispiel Bahnhofsviertel Grevenbroich –, wo sich Menschen nicht an Regeln halten, dann muss man da reingehen.

Das heißt konkret?

Rinkert Der Ordnungsdienst ist in den letzten Jahren in Grevenbroich deutlich verstärkt worden. Der neue Ordnungsdezernent Arno Jansen aktualisiert nun die bestehende Partnerschaft mit der Polizei. Diese Kooperation ergänzen weitere Kräfte wie etwa die Bauaufsicht. Gemeinsam kann man so gegen unerwünschtes Treiben vorgehen wie neulich beim Einsatz im Bahnhofsbereich, wo dem illegalen Glücksspiel ein Riegel vorgeschoben wurde.

Sie sind im Wahlkampf mit der Aussage angetreten, als Kommunalpolitiker im Bundestag ein Bindeglied zwischen Bund und Kommunen sein zu wollen. Wie funktioniert das?

Rinkert Ein Thema, an dem man das beispielhaft gut erläutern kann, ist der Strukturwandel. Dafür braucht es eine Vielzahl von Gesetzesnovellen, vor allem, um mit dem beschleunigten Ausstieg aus der Kohle auch einen beschleunigten Einstieg in neue Wertschöpfungsketten zu ermöglichen. Dazu muss es einen gesetzlichen Rahmen durch das Investitionsgesetz Kohleregionen geben. Dabei greifen Kommunales und Bundespolitik ineinander. Darüber hinaus gibt es viele kommunale Themen, wie etwa den Autobahnanschluss Grevenbroich, bei dem man helfen kann, indem man Kontakte herstellt. Als Kommunalpolitiker kann ich auch besser einschätzen, wie sich Änderungen, etwa beim Wohngeld, vor Ort ganz konkret auswirken.

Apropos Bund beziehungsweise Berlin: Wie erleben Sie die Stadt, die in letzter Zeit so oft im Visier der Kritik steht?

Rinkert Ich habe in Köln studiert und könnte sagen: Da funktioniert die Stadt auch nicht besser. Aber ernsthaft: Berlin verfügt über ein starkes Wirtschaftswachstum, eine große Start-up-Szene, auch Medien sind sehr stark. Berlin gehört zu den attraktivsten Städten Europas, viele Menschen wollen dort leben, weil die Stadt viele Möglichkeiten bietet. Also ich mag die Stadt, auch wenn man in einer Sitzungswoche nicht viel von ihr mitbekommt. Ich erlebe Berlin als sehr aufgeweckte, moderne, frische, offene Stadt, die natürlich auch Herausforderungen zu bewältigen hat, etwa in den komplexen Verwaltungsstrukturen.

Was tun Sie in Berlin gerade ganz konkret für die Stadt Neuss?

Rinkert Es geht gerade besonders um das Thema Bahnhof, besser Zukunftsbahnhof. Dazu laufen Gespräche, damit Neuss einen attraktiven, modernen Bahnhof bekommt. Wenn man derzeit in Neuss mit der Bahn anreist, dann fragt man sich schon, wo man gelandet ist. Dabei ist Neuss eine schöne Stadt. Mit Stadt und Bahn werden gerade die nächsten Schritte abgestimmt. Es wird nicht von heute auf morgen einen hippen, modernen Bahnhof geben, aber wir werden Schritt für Schritt in Paketen in den nächsten Jahren zu einer deutlich höheren Attraktivität kommen. Im Umfeld ist die Stadt ja ohnehin schon sehr aktiv.

Was steht noch auf Ihrer Neuss-Agenda?

Rinkert Als zweites großes Projekt beschäftige ich mich gemeinsam mit Bürgermeister Reiner Breuer mit dem Erftsprung, neuen Brücken, die die Logistikkapazität des Neusser Hafens deutlich erhöhen würden. Das hat eine riesige Bedeutung nicht nur für Neuss, sondern auch für den Wirtschaftsstandort Rhein-Kreis Neuss und das gesamte Rheinische Revier.

Wie geht es weiter mit dem Rheinland Klinikum? Ist der Standort Grevenbroich trotz fortlaufender Verluste wirklich zu halten?

Rinkert Ja, dazu gibt es eine klare Entscheidung, die im Aufsichtsrat gemeinsam mit der Geschäftsführung getroffen wurde. Wir müssen jetzt endlich die Geschäftsführung, die ärztliche Leitung und die Pflegeleitung arbeiten lassen. Das Konzept für die Klinikstandorte steht und muss jetzt umgesetzt werden. Mit der Bildung der medizinischen Zentren sind wir einen wichtigen Schritt weiter. Auch das muss nun mit Leben gefüllt werden. Jetzt gilt es noch die geplante Krankenhausreform des Bundes und den Krankenhausplan des Landes zusammenzubringen. Das Rheinland Klinikum kann von den Plänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach profitieren, weil zum Beispiel wichtige, aber seltener nachgefragte beziehungsweise weniger profitable Einrichtungen wie die Notaufnahmen besser vergütet werden sollen.

Ist der Lauterbach-Plan nicht problematisch, gerade für Grevenbroich, geht er doch davon aus, dass die Zahl der Kliniken drastisch sinkt?

Rinkert Die Pläne werden unterschiedlich bewertet. Manche sagen, es gehe um ein Krankenhausschließungsprogramm, aber das sagt Lauterbach eben nicht. Es ist eigentlich ein Stärkungsprogramm, gerade für kleinere Kliniken, die auch als Versorger vor Ort tätig sind. Mit der Zentrenbildung wurden Schwerpunkte innerhalb des Rheinland Klinikums gesetzt. In Grevenbroich soll die Altersmedizin ausgebaut werden, das ist auch ein Zukunftsthema. Hinzu kommen Pläne für mehr ambulante Versorgung, ein ambulantes Operationszentrum, auch das stärkt den Standort Grevenbroich, denn die Entwicklung hin zu einer zunehmend ambulanten Versorgung, wo es möglich und sinnvoll ist, ist einer der großen Trends im Gesundheitswesen. Auch die Themen Pflege und Reha in Grevenbroich haben Zukunft. Deshalb hat der Standort Grevenbroich genauso seine Berechtigung wie Standorte in Neuss oder Dormagen.

Dennoch bleiben hohe Defizite...

Rinkert ...die mit einer Langfristplanung über die Jahre Stück für Stück niedriger ausfallen sollen. Letztlich stellt sich doch folgende Frage: Wollen wir ein öffentliches Klinikum oder wollen wir Klinikum in Trägerschaft einer Gruppe wie zum Beispiel Helios. Letzteres würde im Vergleich für die Menschen im Rhein-Kreis Einbußen in der Gesundheitsversorgung bedeuten. Für mich ist ein Krankenhaus Daseinsvorsorge und die darf uns als Gesellschaft auch etwas kosten. Natürlich nicht jedes Jahr zehn Millionen Euro Defizit, das geht nicht, das schaffen wir nicht, aber mittel- und langfristig werden wir das Defizit durch das Restrukturierungskonzept deutlich senken können. Wenn dann noch ein kleineres Defizit bleibt, bin ich der Meinung, dass es uns das wert sein sollte – für die beste medizinische Versorgung der Bürgerinnen und Bürger im Rhein-Kreis Neuss. Wir fragen ja auch nicht nach den Kosten für Feuerwehr und Polizei.

 „Wir werden den Ausstieg auf der Atomenergie erleben, da gibt es kein Zurück“, Daniel Rinkert (SPD).

„Wir werden den Ausstieg auf der Atomenergie erleben, da gibt es kein Zurück“, Daniel Rinkert (SPD).

Foto: Wolfgang Walter

Themenwechsel: Im Frühjahr könnten wir den Ausstieg aus der Atomenergie erleben...

Rinkert Wir werden den Ausstieg erleben, da gibt es kein Zurück. Natürlich reden wir über hochmoderne, sichere Anlagen, aber die Frage zur Endlagerung der Brennelemente ist noch immer ungeklärt. Das ist das große Problem. Die Zukunft liegt bei den erneuerbaren Energien, auch was die Kosten angeht: Strom könnte bei einem entsprechenden Ausbau deutlich billiger und wettbewerbsfähiger werden.

 Interview Daniel Rinkert

Interview Daniel Rinkert

Foto: Wolfgang Walter

Ist der vorgezogene Braunkohleausstieg genauso sicher wie das Aus für die Atomenergie?

Rinkert Nein, weil das gesetzlich anders geregelt ist. 2026 gibt es eine Überprüfung: Wie ist der Strombedarf? Wie steht es um die Versorgungssicherheit auch für die Grundlast und damit für die energieintensive Industrie im Rhein-Kreis? Und dann wird entschieden, ob man die drei BoA-Blöcke der Kraftwerke in Niederaußem und Neurath gegebenenfalls bis 2033 weiterlaufen lässt. Insofern ist in 2030 nicht unbedingt Schluss. Natürlich versuchen wir das mit dem Ausbau erneuerbarer Energien, mit Batteriespeichern und anderen Maßnahmen zu erreichen, aber fix ist der Ausstiegstermin noch nicht.

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