Interview mit David Zülow aus Neuss „Unser Wirtschaftsstandort ist in Gefahr“

Neuss · Der Neusser David Zülow, NRW-Vorsitzender von „Die Familienunternehmer“, spricht über die Corona-Pandemie und die Folgen für die Wirtschaft. Seine Forderung: Der Staat muss bei seinem Hilfspaket dringend nachbessern.

 David Zülow ist NRW-Vorsitzender des Verbands „Die Familienunternehmer“.

David Zülow ist NRW-Vorsitzender des Verbands „Die Familienunternehmer“.

Foto: Andreas Woitschützke

Herr Zülow, die Corona-Pandemie trifft die Unternehmen hart. Aufträge brechen weg, Wirtschaftszweige werden stillgelegt, Lieferketten reißen. Wie schwerwiegend sind die wirtschaftlichen Folgen für den Mittelstand und die Familienunternehmer in NRW?

David Zülow Es ist eine Katastrophe, und selbst dieser Ausdruck ist noch geschmeichelt. Es gibt Unternehmen, deren Umsätze fast auf Null weggebrochen sind. Aber sie haben Fixkosten, angefangen bei den Gehältern. Da ist die Frage, wie lange sie das trotz der auf den Weg gebrachten staatlichen Maßnahmen durchhalten können. Wir hoffen alle, dass wir gut und gesund durch die Corona-Pandemie kommen. Aber niemand weiß, wie lange es dauern wird. Reden wir über vier Wochen, drei Monate oder ein Jahr? Da herrscht eine große Ungewissheit. Es geht um Existenzen und Arbeitsplätze. Unser starker Wirtschaftsstandort ist in ernsthafter Gefahr.

Die Politik reagiert mit Hilfspaketen. Der Nachtragshaushalt ist beschlossen. Auch bürokratische Hürden sollen abgebaut werden.

Zülow Die Maßnahmen der Politik erscheinen angesichts der Summen, die im Spiel sind, groß. Aber wenn man genau hinschaut, ist da viel Aktionismus. Das Ganze ist nicht zu Ende gedacht, ein zielführendes Konzept nicht erkennbar. Ich sehe die Gefahr, dass viele Unternehmen auf der Strecke bleiben. In Berlin haben sie offenbar gar nicht richtig verstanden, wie ernst die Lage ist und was die Wirtschaft braucht. Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen erwecken den Anschein, als hätten Peter Altmaier und Olaf Scholz die Bazooka rausgeholt und alles wird gut. Aber sie zielen an vielen elementaren Problemen vorbei.

Der Bund und das Land NRW haben Hilfs-, Schutz- und Förderpakete mit gigantischen Summen auf den Weg gebracht bis hin zu einem 600-Milliarden-Euro-Schutzschirm für größere Firmen. Was fehlt Ihnen?

Zülow Natürlich wirken die Summen gigantisch. Aber Peter Altmaier und Olaf Scholz leiten in Wahrheit nur eine Teilverstaatlichung von Unternehmen nach französischem Vorbild ein, die ich übrigens äußerst kritisch sehe. Sie missbrauchen gerade diese Krise und die Angst der Menschen, um ihre Industriestrategie 2030 durch die Hintertür durchzusetzen. Die Familienunternehmer haben das bereits im vergangenen Jahr scharf kritisiert und Herr Altmaier hat daraufhin auch zwischenzeitlich leicht zurückgerudert. Jetzt nimmt er scheinbar einen neuen Anlauf. Das ist aber ein verkürzter Blick und nur ein Teilaspekt der Wirklichkeit und der Herausforderungen, vor denen wir in Deutschland stehen. Unterm Strich steht: Die Politik verstaatlicht die Großen und lässt den Mittelstand verhungern. Er ist aber der zentrale Motor für Arbeitsplätze, Innovationen und Technologien in Deutschland. Wir als Familienunternehmer wollen an unseren Mitarbeitern festhalten und stellen uns unserer Aufgabe. Dabei brauchen wir aber die Politik an unserer Seite. Kredite über die KfW zum Beispiel sind die falschen Instrumente, weil sie von einer falschen Grundannahme ausgehen.

Inwiefern?

Zülow Durch Kredite verschulden sich Unternehmer, ohne dass Einnahmen auf der anderen Seite stehen. Das ist nichts weiteres als ein Sterben auf Raten, weil der Umsatz ja weg ist. Da wird gerne so getan, als würde das alles nachgeholt, aber dem ist nicht so. Ich nenne ein Beispiel aus der Gastronomie: Weil jemand derzeit kein Schnitzel im Restaurant essen kann, kommt er nicht im September und bestellt dann zwei. Die zusätzliche Kreditlast aber bleibt. So geht es, bis auf wenige Ausnahmen, vielen Bereichen und Wirtschaftszweigen. Die Stunde und die Dienstleistung, die jetzt nicht verkauft wird, holt man nicht einfach irgendwann nach. Kredite mögen vorübergehend Liquidität sichern, aber das ist nur ein Fahren auf Sicht. Wir brauchen mehr Weitblick.

Was würden Sie der Politik ins Auftragsbuch schreiben?

Zülow Viele Unternehmen werden um Kurzarbeit nicht herumkommen. Für die betroffenen Mitarbeiter bedeutet das erhebliche finanzielle Einbußen, das trifft die Menschen bis ins Mark. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie dürfen aber nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Wenn jemand statt 2000 Euro nur noch 1200 Euro oder mit Kindern 1340 Euro davon erhält, dann trifft ihn das richtig. Das Kurzarbeitergeld muss daher aufgestockt werden, meines Erachtens auf bis zu 90 Prozent. Man könnte es zum Beispiel auch einkommensabhängig staffeln, um die Einkommensschwächeren aufzufangen. Die Sozialtöpfe sind voll, das Geld ist da. Und es ist das Geld der Bürger. Sie haben es selbst eingezahlt.

Was sollte die Politik noch machen?

Zülow Es ist mit Blick auf die Liquidität natürlich gut, wenn die Finanzämter angesichts der momentanen Situation, wie angekündigt, etwas zurückhaltender mit dem Eintreiben der Steuern agieren. Aber warum denken wir nicht darüber nach, die Wirtschaftsjahre 2019 und 2020 gemeinsam zu veranlagen, und zwar auf Basis der gleichen Steuerpflicht. Das spart sogar noch viel Bürokratie. 2019 war für die meisten Unternehmen ein richtig starkes Jahr, 2020 wird eine Katastrophe.

Das Corona-Soforthilfeprogramm des Bundes sieht für Kleinunternehmen direkte Zuschüsse in Höhe von 9000 Euro (bis fünf Mitarbeiter) beziehungsweise 15.000 Euro bis zehn Mitarbeiter vor. Die nordrhein-westfälische Landesregierung stockt das Programm auf und unterstützt über die „NRW-Soforthilfe 2020“ Unternehmen mit 10 bis 50 Beschäftigten mit 25.000 Euro. Ein richtiges Signal?

Zülow Ja, aber mehr ist es auch nicht. Ein Kleinunternehmen kann von 9000 Euro gerade einmal drei Mitarbeiter für einen Monat bezahlen, das war es dann. Der Ansatz ist gut, aber unterm Strich ist es, als würde man einem Verhungernden ein Bonbon geben und ihn auffordern, daran möglichst lange zu lutschen. Ich möchte dem Land da gar nicht das Bemühen absprechen. Aber aus Gesprächen mit betroffenen Unternehmern weiß ich, dass diese Hilfen zu wenig sind und ihre Existenzangst nicht lindern.

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