Internationale Tanzwochen Neuss Geschichten vom Erwachsenwerden

Neuss · Das Bundesjugendballett begeisterte bei den Tanzwochen mit dem „BJB Songbook“.

 Für die Arbeit „BJB Songbook - What We Call Growing Up“ wurde das Bundesjugendballett vom Publikum bejubelt.

Für die Arbeit „BJB Songbook - What We Call Growing Up“ wurde das Bundesjugendballett vom Publikum bejubelt.

Foto: Silvano Ballone

Erst nehmen die Musiker die Bühne ein. Dann erscheint eine Solistin. Sie breitet die Arme aus wie Vogelschwingen, wirkt fragil und kraftvoll zugleich. Nach und nach gesellen sich die anderen sieben Tänzerinnen und Tänzer zu ihr und formieren sich zur Gruppe. Abgezirkelte Bewegungen, nicht hektisch, sondern in großer Ruhe. Der Höhepunkt von „Muted“ mit Auszügen aus einer Choreografie von Sasha Riva ist jedoch das Liebesspiel im Pas de deux. Mit allen Nuancen, die Leidenschaft entfachen kann, von Dominanz bis Unterwerfung. Sie lässt ihn zappeln, er reißt sie an sich. Zur flirrenden Musik von Peteris Vasks bestaunen die gefesselten Zuschauer eine tänzerische und ästhetische Glanzleistung.

Zum zweiten Mal gastierte das famose Bundesjugendballett (BJB) aus Hamburg bei den Internationalen Tanzwochen in der Stadthalle. „In the Blue Garden“, das zweite Stück des Abends, wurde von John Neumeier choreografiert. Er ist der Schöpfer und Mentor der  Kompanie. Deren acht Mitglieder sind jeweils zwischen 18 und 23 Jahre alt und arbeiten maximal zwei Jahre im Ballettzentrum. Ihre Ausbildung haben sie absolviert, jetzt dürfen sie wachsen. Nicht allein die bloße Kunst des Tanzens wird in Hamburg gepflegt und gefördert.

Das BJB tritt an ungewöhnlichen Orten auf, in Kirchen, Gefängnissen, Seniorenheimen, Krankenhäusern. Die Kompagnie will berühren, bewegen, begeistern. All das gelingt auch in Neuss. Bei „Dressed up in Tissue Paper“ aus einer Choreografie von Natalie Horecna wird ein Tisch hereingetragen, darauf eine Schale mit Äpfeln. Ein Fingerzeig zur Versuchung im Paradies? Eine schwarze Gestalt huscht über die Bühne, ein Mädchen in unschuldigem Weiß erinnert an eine Märchengestalt. Nebel wabert, der danach bei „Dumbarton Oaks“ in giftiges Grün kippt. Diese Eigenchoreografie des Bundesjugendballetts zur Musik von Igor Stravinsky gerät allerdings ein klein wenig lang und zeigt etliche Wiederholungen. Aber wunderbar die Musik: Alle vier Stücke im ersten Teil werden meisterhaft von Klavier, Violine, Viola und Violoncello begleitet.

Welch ein Kontrast nach der Pause! „BJB Songbook - What We Call Growing Up“ wurde 2017 am Ernst Deutsch-Theater Hamburg uraufgeführt. Eine durchgehende Performance mit Bausteinen aus Tanz, Musik und Sprache. Alle Mitwirkenden sind auf der Bühne vereint und immer zu sehen. Sie hocken auf Kisten oder sind in Bewegung. Nicht allein der Tanz steht bei diesem frischen und modernen Gesamtkunstwerk im Mittelpunkt.

Da werden vom Ensemble in Poetry-Slam-Manier Gedichte rezitiert („A Memory“ von Charlotte Larzelere), Popsongs zu Klavier, Geige und Gitarre interpretiert. Begeistert feiert das Publikum vor allem den fabelhaft dargebotenen Mix aus „Just Like A Woman“ und „Natural Women.“

Getanzt wird in Alltagskleidung und auf Strümpfen, mit leisen, betörenden und humoresken Nuancen. Zu soghaften Rhythmen erzählt das Ensemble allerlei Geschichten vom Erwachsenwerden, von Liebeskummer und Aufbruch, aber auch von der Bedrohung durch Naturkatastrophen. Am Ende mündet die Vorstellung in eine überschäumende, leichtfüßige Hymne an das Leben.

Die Botschaft wird verstanden, das hingerissene Publikum jubelt lange und lautstark.

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