CDU-Vorschlag in Neuss Gewerbesteuer runter – Finanzen saniert?

Meinung | Neuss · Mit ihrem Vorschlag, die Gewerbesteuer in Neuss drastisch zu senken, sorgt die CDU für reichlich Wirbel, nicht nur in Neuss, sondern auch in den Nachbargemeinden. Die CDU will das Thema breit diskutieren. Möglich, dass die Diskussion schnell beendet ist. Ein Kommentar.

 Die Stadt Neuss kämpft mit einem Haushaltsdefizit. Die CDU will die Gewerbesteuer fast halbieren – und stößt damit auf heftigen Widerstand.

Die Stadt Neuss kämpft mit einem Haushaltsdefizit. Die CDU will die Gewerbesteuer fast halbieren – und stößt damit auf heftigen Widerstand.

Foto: dpa/Daniel Reinhardt

Etatberatungen sind für Ratsfraktionen Pflichtprogramm – und oft im Ergebnis entsprechend eher nüchtern. Bei der CDU in Neuss hingegen endeten die Beratungen über die städtischen Finanzen jetzt mit einem Wumms, wie es Neudeutsch vielleicht heißen könnte. Das Problem: Dieser Wumms lässt es kräftig scheppern – und zwar nicht nur im Lager der politischen Mitbewerber. Die Gewerbesteuer in Neuss soll sinken, nicht ein bisschen, sondern um satte 45 Prozent auf 250 Basispunkte.

Monheim war die erste Stadt in der Region, die den Hebesatz von 2012 bis 2018 schrittweise auf 250 Basispunkte gesenkt hat, Leverkusen zog 2019 nach. Die Reaktion der Kommunen in der Nachbarschaft und in ganz Nordrhein-Westfalen war deutlich: Das Wort von Dumping-Steuersätzen machte die Runde. Mit der vom Dormagener Bürgermeister Erik Lierenfeld (SPD) initiierten „Zonser Erklärung“ setzten 2019 dreißig Städte und Gemeinden aus NRW ein „gemeinsames Zeichen gegen Gewerbesteuerdumping“. „Es ist schief, dass mitten in Deutschland Steueroasen entstehen, während wir genau das auf internationaler Ebene mit allen Mitteln bekämpfen“, sagte Lierenfeld. Seine Forderung: „Unternehmensgewinne müssen dort versteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden.“

Ziel war es, eine Kannibalisierung bei den kommunalen Steuereinnahmen zu verhindern. „Eine deutliche Senkung der Gewerbesteuer ist für die meisten Kommunen nicht zu kompensieren“, sagte der Krefelder Oberbürgermeister Frank Meyer (SPD). „Das Beispiel Leverkusen zeigt jedoch einmal mehr, dass die Gewerbesteuer in Deutschland dringender Reformen bedarf. Derzeit besteht ein immenser Wettbewerb zwischen den Kommunen. Und zwar unter teilweise erheblich unterschiedlichen Voraussetzungen. Das kann niemals ein fairer Wettbewerb sein“, so Meyer. Unterschiedliche Voraussetzungen, dazu gehört zum Beispiel die Möglichkeit, in großem Umfang neue Gewerbegebiete ausweisen zu können, um neue Unternehmen ansiedeln zu können, was bei einer (fast) Halbierung der Gewerbesteuer unumgänglich ist, damit die kommunalen Einnahmen nicht in einem Maße wegbrechen, das die Kommunen in die Haushaltssicherung treiben würde, womit wiederum viele freiwillige Leistungen der Städte zum Beispiel im Sozialen, in Kultur, Bildung und Sport auf Streichlisten landen könnten.

Teilweise geht es allerdings auch ohne Gewerbeflächen. Auch darauf hebt die „Zonser Erklärung“ ab: „Dass es bald überall in Deutschland zur gängigen Praxis von Großkonzernen werden könnte, durch konzerninterne Verlagerungen steuerlicher Erträge oder die Einrichtung von ,Briefkastenfirmen‘ Steuern zu sparen, ist besorgniserregend.“ Denn die Mehreinnahmen einzelner Kommunen entstünden dann im Schwerpunkt nicht durch reale Verlagerungen oder Neuansiedlungen von Betrieben, sondern allein durch die Einrichtung sogenannter Briefkastenfirmen. Dort wo die tatsächliche gewerbliche Produktion stattfinde, bleibe die Belastung für Umwelt und Infrastruktur, ohne dass dafür von Unternehmen vor Ort ein angemessener Finanzierungsanteil getragen werde.

Die Konsequenz aus Sicht der Kommunen – auch aus dem Rhein-Kreis Neuss –, die die „Zonser Erklärung“ unterschrieben haben: „Wir setzen uns dafür ein, dass die Gewerbesteuer dort gezahlt wird, wo die Bänder laufen, die Schlote qualmen und die Lkws über den Asphalt rollen – und nicht dort, wo der Briefkasten hängt.“ Keine Fiktion, sondern Realität: Wer Monheim oder Leverkusen kombiniert mit Gewerbesteuer googelt, bekommt ganz oben in der Trefferliste die Angebote für eben solche Briefkasten-Residenzen für Unternehmen, die Steuern sparen wollen. Will jetzt auch Neuss davon profitieren? Immerhin verweist die CDU selbst auf die vielen leer stehenden Bürogebäude im Stadtgebiet. Das wäre wohl zu stark verkürzt.

CDU-Parteichef Jan-Philipp Büchler und CDU-Fraktionschef Sven Schümann verweisen nicht zu Unrecht auf das sehr reale Problem eines strukturellen und sich verschärfenden Haushaltsdefizits von jährlich zwischen 30 bis 50 Millionen Euro und begründen damit ihre Forderung nach einer „Haushaltswende“ an. Mangels anderweitiger Vorschläge aus dem Rathaus zur Lösung der Finanzprobleme, so die CDU, wolle man die „Idee einer Gewerbesteuersenkung“ mit Politik und Stadtgesellschaft offen diskutieren. Gleichzeitig gehöre die Ausweisung neuer Gewerbeflächen wieder auf die Agenda. Von den Konsequenzen einer so drastischen Gewerbesteuersenkung auf die übrigen Kommunen in der Kreisgemeinschaft ist nicht die Rede. Nun gut, die „Neuss-first-Haltung“ wird im Rhein-Kreis nicht so sehr überraschen.

Die Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten, auch aus Reihen der CDU: „Ein solcher Plan ist kontraproduktiv“, sagt der Dormagener CDU-Fraktionsvorsitzende Kai Weber zurückhaltend, aber in der Botschaft deutlich. „Das wäre sicherlich eine Schädigung der umliegenden Kommunen und hätte Auswirkungen auf Dormagen.“ Nun könnte man aus Neusser Sicht natürlich argumentieren, dass es auch den umliegenden Kommunen freisteht, ihre Gewerbesteuer zu senken. Dann allerdings könnte Neuss schnell wieder das Nachsehen haben. Denn in manchen Nachbarkommunen gibt es – gerade im Prozess des Strukturwandels – weitaus größere und schneller verfügbare Gewerbeflächen für die Neuansiedlung von Unternehmen als in Neuss. Bereits in den vergangenen Jahren ist manches Unternehmen, das sich zunächst für Neuss interessiert hat, im Umland gelandet. Die großen Bedenken des Neusser Kämmerers Frank Gensler angesichts des CDU-Vorschlags mit Blick auf Kreisumlage, Schlüsselzuweisungen etc. kommen noch hinzu.

Dass die CDU Auswege aus der schwierigen Finanzsituation sucht, ist grundsätzlich natürlich nicht zu kritisieren. Die Idee der Gewerbesteuer-Senkung allerdings wirkt, Wumms, mal eben rausgehauen, zu wenig mit Zahlen und Fakten unterfüttert und noch lange nicht zu Ende gedacht. Die erwünschte politische Diskussion könnte kurz ausfallen.

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