Charity-Einsatz in Neuss Schnipp-schnapp sind die Haare ab

Neuss · Wenn die Profis kommen, dann sitzt die Frisur in wenigen Minuten. Fünf Friseure, die sich ehrenamtlich beim Verein „Barber Angels Brotherhood“ engagieren, schnitten Obachlosen in der Neusser Hin und Herberge die Haare.

Die Scheren liegen frisch geschliffen und einsatzbereit auf einem Tisch, daneben diverse Haarschneidemaschinen, Kämme, Bürsten und Haargel. Auf dem Boden steht ein Karton voller Föne. Alles da für den Einsatz der Fachkräfte in der Hin und Herberge, der Notfallschlafstelle der Stadt Neuss am Derendorfweg. Dort bieten sie den Obdachlosen Haar- und Bartschnitt sowie eine Kopfmassage an – kostenlos, versteht sich. Und die Männer und Frauen machen das ehrenamtlich, heißt, mindestens einmal im Monat sind sie für den Verein „Barber Angels Brotherhood“ unterwegs, nämlich dann, wenn sie einen freien Tag haben und nicht in ihrem eigenen Salon stehen.

„Geld können wir nicht geben, dafür aber unser Handwerk“, sagt Coco. Sie kennt sich nicht nur aus, wenn es ums Haareschneiden geht, sondern sie war selbst einige Wochen obdachlos, hat „auf der Platte gelebt“, wie sie sagt. Heute hat sie ihren eigenen Salon in Büttgen. „Na, Schatz, was machen wir denn bei Dir?“, begrüßt sie einen Gast. Der guckt zunächst skeptisch, setzt sich aber auf einen Stuhl und lässt die Fachfrau mal machen.

40 Obdachlose hatten sich zum ersten Einsatz des Vereins in Neuss angemeldet. „Alle werden wahrscheinlich nicht kommen“, sagt Coco. Das müsse sich erst einmal rumsprechen. „Viele glauben nicht, dass sie hier etwas geschenkt bekommen“, weiß die zweifache Mutter aus Erfahrung. Und die, die kommen, müssen sich erst einmal an die Wertschätzung gewöhnen, die ihnen entgegengebracht wird. Berührungsängste werden abgebaut, indem die Friseure in Lederkluft arbeiten – irgendwie so, als gehörten sie einer Gang an. Und das tun sie ja auch, eine Gang, die nicht nur deutschlandweit, sondern mittlerweile auch in Österreich, der Schweiz, in den Niederlanden und auf Mallorca unterwegs ist. Coco ist Zenturio, heißt sie ist die Leiterin eines Chapters (Neuss, Krefeld, Mönchengladbach und Düsseldorf). Nordrhein-Westfalen ist in vier Chapter aufgeteilt, Deutschland in 16.

Obdachlosigkeit könne jeden treffen, sagt Coco. Manchmal seien die Geschichten, die sie beim Haareschneiden hören, nur schwer zu ertragen. „Aber ich bin ja selber das beste Beispiel dafür, dass man es schaffen kann“, sagt die Friseurin. Zu den Gästen an diesem Nachmittag gehört auch Heinrich. Er ist 59 Jahre und erst seit wenigen Wochen wohnungslos. Sein Plan: Er will in die Niederlande auswandern, weil er glaubt, dass er dort besser zurecht kommen wird. Gearbeitet hat er bis vor kurzem noch als Tankwart. Haare waschen, bevor die Schere kommt, gehört übrigens nicht zum Programm. „Das vermittelt den Gästen den Eindruck, dass wir sie erst einmal säubern müssten“, sagt Ute Ganser-Koll, ebenfalls Barber-Angels-Mitglied oder „Apostel“, wie sie sich nennen. Ganser-Koll hat einen eigenen Salon in Bergheim. Kostenlos Haare geschnitten hat sie bereits in Flüchtlingsunterkünften. Über Facebook ist sie auf die Barber Angels aufmerksam geworden. Klaus Borgards, Friseur aus Düsseldorf, ist zum ersten Mal dabei, er ist daher noch ein „Gast-Engel“. Aber Idee und Umsetzung findet er klasse.

Nachdem Heinrich und fünf andere fertig sind, gibt es zum Abschied noch einen Beutel mit einigen Pflegeprodukten, einer Bürste sowie etwas zum Naschen. Am 23. September kommen die Barbiere wieder an den Derendorfweg (9 bis 12 Uhr).

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