Neues Buch von Libet Werhahn-Adenauer Mein Vater Konrad Adenauer

Neuss · Auf Staatsbesuchen First Lady, im Alltag Tochter. Libet Werhahn-Adenauer erinnert sich an ihren Vater, den Kanzler Konrad Adenauer.

Ihr erstes Auto, ein Volkswagen, gab ihr das Gefühl von Freiheit. Mit den Kindern fuhr sie an den Rhein und durch die niederrheinische Landschaft. Der Schwiegervater murrte. Das sei in seiner Familie nicht üblich, sagte Wilhelm Werhahn, „wir haben unsere eigenen Regeln“. Libet, die jüngste Tochter des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, war 1950 in die Neusser Industriellenfamilie eingeheiratet und in dieser Situation froh, dass ihr Vater ihr zur Seite sprang: „Ich kaufe der Libet das Auto ab und schenke es ihr, damit sie mich immer besuchen kann.“ Er sei ein alter Mann und oft allein in Rhöndorf. Der Schwiegervater lenkte ein.

Private Begebenheiten wie diese verknüpft Libet Werhahn-Adenauer in ihrem jüngsten Buch „Konrad Adenauer: Erinnerungen an meinen Vater“ (Bast Medien, 192 Seiten, 19,90 Euro) mit sehr persönlichen Gedanken: „Mein Vater und ich hatten beide die liberale Veranlagung, die Dinge etwas großzügiger zu sehen, aus verschiedenen Perspektiven und damit einen weiteren Horizont.“ Letztlich, so bilanziert sie, hätten sich die beiden „Schwiegertiger, wie wir sie nannten“, aber ganz gut vertragen.

Das neue Adenauer-Buch, geschrieben aus der Tochter-Perspektive, ist einfühlsam, erzählend. Es ist keine Biographie über den ersten deutschen Bundeskanzler, sondern ein Charakterbild des „Alten“ – skizziert von dessen Tochter, aufgeschrieben von Catharina Aanderud. Nachzulesen sind Werden und Wirken einer der großen Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Geschildert werden Adenauers Weg als Oberbürgermeister der Stadt Köln (1917 bis 1933), die Belastungen in der „Hitlerzeit“, Adenauers Rolle im Nachkriegsdeutschland und dessen Aufstieg zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.

Dabei wechselt die Autorin nie ihre Rolle, sie bleibt immer die zugewandte Tochter, ob als Kind und Teenager, oder später als junge (Ehe-)Frau und Mutter, die den verwitweten Vater als First Lady auf vielen Staatsbesuchen ins Ausland begleitet: Sie tafelt mit John F. und Jackie Kennedy, sie ist Tischdame von Charles de Gaulle und vom Schah von Persien. Sie bewegt sich in einer Welt, aus der sie nach eigener Einschätzung besser zurückkehrte als sie abgereist war: „Mit neuen Eindrücken, mehr Menschenkenntnis und mehr Erfahrungen. Ich entwickelte einen weiteren Horizont und andere Maßstäbe.“

Libet Werhahn-Adenauer war stets bewusst, dass diese Weltläufigkeit für sie ein Gewinn bedeute. Sie strebte aber nie danach, Teil dieser (machtpolitischen) Welt zu sein. Ihren Platz sah sie in der Heimat am Rhein, in Rhöndorf, wo sie behütet aufwuchs, und in Neuss, wo sie mit ihrem Mann Hermann Josef Werhahn eine Familie gründete, an der Breite- und Elisenstraße in der Innenstadt lebte, ehe die Familie ihr Domizil mit großem Garten am Sporthafen bezog. Dort wuchsen auch die Kinder Monika, Stephan, Charlotte, Konrad und Annette auf; dort lebt das inzwischen 90 Jahre alte Familienoberhaupt noch heute.

Ihr Buch gehe auf eine Initiative des Verlages zurück, sagt Libet Werhahn-Adenauer. Sie habe zugestimmt, weil sich für sie auch in jüngster Vergangenheit noch einmal „neue Sichtweisen“ ergeben hätten: „Im Rückblick verändert sich das eine oder andere.“ Motivation sei ihr auch gewesen, ihre Erinnerungen für die nachwachsenden Generationen, auch in der eigenen Familie, aufzuschreiben. Ihr jüngster Urenkel sei soeben in Australien geboren worden. Zur Feier ihres 90. Geburtstages seien neue Familienmitglieder erstmals anwesend gewesen. Das Buch zu machen, sei aber ihre alleinige Entscheidung gewesen: Kaum einer in der Familie habe mitbekommen, dass sie ihre Erinnerungen zu Papier bringe.

Libet Werhahn-Adenauer hat nun ein Buch vorgelegt, das es unter drei Aspekten verdient, gelesen zu werden: Das Buch ist wichtig, weil es Geschichte von innen beschreibt. Als Tochter war Libet Werhahn-Adenauer dem ersten deutschen Bundeskanzler so nahe wie nur wenige. Das Tochter-Vater-Verhältnis hebt zwar wissenschaftliche Distanz auf, lässt dafür im Gegenzug aber emotionale, ja fast schon intime Blicke auf den Staatsmann Konrad Adenauer zu. So wird deutlich, wie sehr es auch bei „denen da oben“ menschelt. Wer sich so verbunden und nahe ist wie Vater und Tochter Adenauer, der genießt das Privileg, dem anderen gegenüber eingestehen zu dürfen, schwach zu sein. Beispiel: Beim Besuch 1962 in Paris ärgerte sich Adenauer über Gastgeber de Gaulle gewaltig. Ohne jemanden zu informieren, ließ er sich in den Bois de Boulogne fahren, wo er allein spazieren ging, um nachzudenken. Libet Werhahn-Adenauer notiert dazu, er habe Luft schnappen müssen, „um sich darüber klar zu werden: Was will ich, warum will ich es und wie könnte ein Kompromiss aussehen.“ Am nächsten Tag sei der Kompromiss erreicht worden.

Das Buch ist mutig, weil es die Türen zu den Häusern der Familien Adenauer und Werhahn öffnet. Wie Libet Werhahn-Adenauer das Leiden ihrer todkranken Mutter Gussie aufschreibt, die schließlich 1948 starb, berührt den Leser: „Es war ein schöner Frühlingstag, die Sonne schien, die Vögel sangen, aber ich konnte überhaupt nicht begreifen, dass es möglich war, dass meine Mutter gestorben war.“ Ausführlich beschreibt sie, wie sie Hermann Josef Werhahn kennen- und lieben lernte, sie beschreibt die Verlobungsfeiern in Rhöndorf und in Neuss und schließlich die Hochzeit am 2. Mai 1950 in Maria Laach. Über ihren Mann, der 2016 starb, schreibt Libert Werhahn-Adenauer jetzt: „Er war sehr stolz auf mich, und kaufte mir auch mit Begeisterung die für den jeweiligen Staatsbesuch passenden Kleider.“

Das Buch ist respektvoll, weil es liebevoll, aber ohne Pathos den gemeinsamen Lebensweg von Vater und Tochter skizziert. Stringent verwendet Libet Werhahn-Adenauer den Begriff Vater. Zu einem Resümee findet sie nicht. Präziser, sie resümiert indirekt, in dem sie sich der Interpretation ihres Mannes anschließt. Hermann Josef Werhahn betonte stets die Dualität, die jedem Menschen innewohne, und sah sie bei seinem Schwiegervater in den „beiden Polen Tatkraft und Besonnenheit“. Dem stimmt die Autorin zu: „Ich denke, damit hat er sich in die Persönlichkeit von Konrad Adenauer sehr gut eingefühlt.“

Wer „Erinnerungen an meinen Vater“ liest, erfährt viel über Konrad Adenauer, seine Familie, seine Politik. Er versteht am Ende auch, warum der erste deutsche Bundeskanzler auch im 70. Jahr des von ihm auf den Weg gebrachten Grundgesetzes fasziniert: Adenauer war authentisch. Er hatte Werte. Er hatte Charakter. Er zeigte Herz.

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