Medizinische Ausbildung Physiotherapeuten werden Akademiker

Interview | Neuss · „Physiotherapie Bachelor of Science“ – der Medicoreha-Chef spricht über die Vorteile des neuen Studiengangs an dere Kölner Fachhochschule.

 Dieter Welsink (hier mit Student Chris Schnabel) hat den Studiengang „Physiotherapie Bachelor of Science“ an der Kölner Fachhochschule etabliert. Er ist auch Lehrstuhlinhaber.

Dieter Welsink (hier mit Student Chris Schnabel) hat den Studiengang „Physiotherapie Bachelor of Science“ an der Kölner Fachhochschule etabliert. Er ist auch Lehrstuhlinhaber.

Foto: Welsink

Die akademische Anerkennung in medizinischen Berufen schreitet voran. Ob in der Alten- und Krankenpflege oder bei Hebammen – Schulabgänger können bei vielen Jobs nicht nur eine klassische Ausbildung an einer Berufsfachschule oder im Betrieb wählen, sondern auch einen Weg über ein Studium an der Hochschule. Jüngstes Beispiel im Bereich der Physiotherapie ist die Einrichtung des ausbildungsintegrierten Studiengangs „Physiotherapie Bachelor of Science“ an der Rheinischen Fachhochschule in Köln. Federführend dafür war der Neusser Gesundheitsunternehmer und Inhaber der Medicoreha, Dieter Welsink, der auch den Lehrstuhl in Köln innehat. Die NGZ sprach mit ihm über die Auswirkungen dieser zunehmenden Akademisierung.

Welche Rolle spielen Ergo- und Physiotherapeuten oder Logopäden in der heutigen Gesundheitsversorgung?

Dieter Welsink Nun, sie sind ein wesentlicher Bestandteil der medizinischen Versorgung und gewährleisten grundlegende Gesundheitsleistungen für die Patienten.

…und diese sollen durch das Studium verbessert werden?

Welsink Ja, denn wir gehen mit der Akademisierung in Richtung einer Interprofessionalität. Die physiotherapeutischen Kollegen waren im Kanon der Therapeuten aus Fachärzten, Psychologen oder Sportwissenschaftlern die einzigen Nicht-Akademiker. Durch den wissenschaftlichen Abschluss erweitert sich nicht nur das Spektrum und der Gestaltungsspielraum der Kollegen, sondern er ermöglicht auch eine Kommunikation auf Augenhöhe mit Kollegen und in Netzwerken.

Welche Entwicklungen versprechen Sie sich von dem neuen Studiengang?

Welsink Die Ausbildung wird bei Schulabsolventen sicherlich mehr nachgefragt und attraktiver werden, da sich der akademische Abschluss auch auf dem Gehaltszettel widerspiegeln wird und ein angemessenes Gehalt bei guten Arbeitsbedingungen ein wichtiges Kriterium bei der Berufswahl darstellt. Außerdem ist der Bachelor-Abschluss B.Sc. international anerkannt und öffnet die Türen für Therapeuten, die außerhalb von Deutschland arbeiten wollen. Umgekehrt werden deutsche Arbeitsplätze auch für hochschulisch ausgebildete Kollegen aus dem Ausland attraktiv. Unser Ziel ist, die jungen Menschen als klinische Praktiker zu befähigen, die mit ihren Kompetenzen zum evidenzbasierten Entscheiden und Handeln in der individuellen und interprofessionellen Patientenversorgung beitragen.

Stichwort „evidenzbasiert“: Wie sieht es mit der Forschung aus? Gibt es Studien?

Welsink In Deutschland bisher nur wenig, da brauchen wir wirklich mehr. Fachhochschulen sind natürlich nicht zwingend Forschungseinrichtungen, aber um den Stellenwert unseres Fachs zu stärken und den Fortschritt in der Medizin auch physiotherapeutisch begleiten zu können, müssen wir forschen.

Wie profitieren die Patienten von den neuen Studiengängen?

Welsink Eine wissenschaftsbasierte, kontextbezogene und praxisorientierte Arbeit zum Wohle der Patienten funktioniert am wirkungsvollsten in einer Versorgung durch interdisziplinäre und interprofessionelle Teams. Medizinische und direkt spürbare Nutzeffekte sind die Verbesserung des Gesundheitszustands, eine Verkürzung der Krankheitsdauer bei gleichzeitiger Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität.

Das ist auch eine wichtige Entwicklung im Hinblick auf die demografischen Veränderungen der Gesellschaft.

Welsink Unbedingt! Wir merken schon jetzt ein deutlich verändertes Anforderungsprofil. Der Bedarf verändert die Rolle der Therapieberufe. Wir tun viel dafür, dass Pflege vermieden oder aufgeschoben werden kann und sogenannte Alltagstauglichkeit möglichst lange erhalten oder wiederhergestellt wird. Ein wichtiger Aspekt in Anbetracht des Pflegenotstands, der schon jetzt bemerkbar ist.

Wie sieht es mit Arbeitnehmern aus, die seit Jahren tätig sind und nun nicht mehr studieren wollen oder können? Gibt es da Diskrepanzen zu den „jungen Akademikern“?

Welsink Ja, da müssen wir vorbeugen um ein einheitliches, auch interdisziplinäres Team zu gewährleisten. Unser Plan ist die Entwicklung eines berufsbegleitenden Modells, um auch langjährige Kollegen weiter zu qualifizieren.

Wird der neue Studiengang gut angenommen?

Welsink Sehr, wir haben im aktuellen Sommersemester eine Studierendenquote von 36 Prozent. Das ist sehr hoch, da im Sommersemester in der Regel ein deutlich höherer Anteil von Nicht-Abiturienten beginnt. Für das kommende Wintersemester zeichnet sich bereits wieder ein hoher Anteil an Studieninteressenten ab. Dies ist eine prima Entwicklung für die Physiotherapie und zeigt die hohe Akzeptanz unseres Studienmodells.

Und wie geht die Reise nun weiter?

Welsink Unser Ziel ist es, auch andere Fachschulen als Kooperationspartner zu überzeugen, denn der Fachkräftebedarf wird in Zukunft zunehmen. Insbesondere die Physiotherapie zählt bereits heute zu den Mangelberufen. Um den Bedarf zu decken, braucht unsere Gesellschaft sowohl hochschulisch qualifizierte als auch berufsfachschulisch-qualifizierte Therapeuten.

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