Interview „Neue Produkte bringen höhere Marge“

Neuss · Der Chef von 3M-Deutschland erklärt, warum Computer immer häufiger zusammengeklebt werden, wie der Konzern seine Forscher zu immer neuen Innovationen ermutigt - und wie das Unternehmen mit einem tragischen Vorgang umgeht.

 Seit vier Jahren leitet Günter Gressler das Deutschland-Geschäft des Weltkonzerns 3M. Der 52-jährige Familienvater lebt in Bensberg bei Köln und arbeitet bereits seit 26 Jahren bei 3M.

Seit vier Jahren leitet Günter Gressler das Deutschland-Geschäft des Weltkonzerns 3M. Der 52-jährige Familienvater lebt in Bensberg bei Köln und arbeitet bereits seit 26 Jahren bei 3M.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Herr Gressler, die Erfinder, nennt sich Ihre Firma. Ist Ihr Innovationsgeist wirklich etwas so besonderes?

Gressler Viele Unternehmen haben viele Ideen, doch bei uns liegt der Drang nach Innovationen in den Genen seit der Gründung vor 110 Jahren: 3M verfolgt die Strategie, immer neue Ideen zu entwickeln. 33 Prozent des Umsatzes weltweit - in Deutschland sogar 37 Prozent - erwirtschaften wir mit Produkten, die jünger als fünf Jahre im Markt sind. Insofern ist Innovation unser Kerngeschäft.

3M investiert jedes Jahr weit mehr als eine Milliarde Dollar in die Erforschung neuer Produkte. Wäre es nicht lohnender, vorrangig auf etablierte Produkte zu setzen, anstatt immer wieder mit viel Geld neue Ideen zu entwickeln und zu vermarkten?

Gressler Auch 3M hat Produkte, die seit Jahren gute Umsätze generieren, Beispiel sind unsere ,Post-it´Haftnotizen. Aber je länger ein Produkt am Markt ist, desto größer ist die Konkurrenz mit ähnlichen Produkten, die Preise sinken. Neue Produkte erzielen höhere Margen.

Sie bringen jedes Jahr 1000 neue Produkte auf den Markt?

Gressler Ja,das ist das Ergebnis der Arbeit von 7000 Forschern und Entwicklern, davon 600 in Deutschland. Sie identifizieren Trends und erfinden neue Produkte - 15 Prozent ihrer Arbeitszeit dürfen sie sogar in freigewählte Projekte stecken.

Was sind die Trends der Zukunft?

Gressler Ein Megatrend ist beispielsweise die Alterung der Gesellschaft, und wie man darauf mit neuen Angeboten reagieren kann. Zweitens werden Klebstoffe in der Produktion immer wichtiger - es wird schon mehr geklebt als geschweißt. Handys oder Computer sind ohne Klebkomponenten nicht denkbar. Außerdem sehe ich in der Autoproduktion großes Wachstumspotenzial für unsere Foliensparte.

Ihre Medizinsparte profitiert von der höheren Alterung?

Gressler Auch da gibt es spannende Forschungsfelder. Etwa im Bereich der Diabeteskranken. Betroffene müssen heute mehrmals täglich Insulin spritzen. Dieser Automatismus könnte sich erübrigen, wenn wir ein Pflaster entwickeln, das über Mikronadeln und Sensoren den Insulinspiegel misst und den Kranken über ein Signal informiert, wann er etwas essen muss, um seinen Insulinspiegel zu regulieren.

Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter, kreativ zu sein und zu bleiben?

Gressler Wir versuchen ein Umfeld zu schaffen, das Freiräume lässt und in dem man sich wohlfühlt. 15 Prozent der Arbeitszeit sind für eigene Projekte reserviert, zudem gibt es für alle Mitarbeiter Leistungsanreize. Etwa das variable 13. Monatsgehalt für Tarifangestellte. Haben wir ein besseres Ergebnis erzielt als im Vorjahr, können die Mitarbeiter bis zu 150 Prozent dieses 13. Monatsgehalts verdienen. Mehrfach war 3M in Deutschland Sieger beim Wettbewerb Deutschlands bester Arbeitgeber. Auch unser neues Modell der Lebensarbeitszeit gehört dazu.

Spüren Sie doch Fachkräftemangel?

Gressler Im Ingenieurwesen und in den Naturwissenschaften ist es schwieriger geworden, Stellen zu besetzen. Wir setzen darauf, als guter Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, und das nicht nur bei Hochschulabsolventen, sondern auch an Schulen, wo wir versuchen, Jugendliche für die MINT-Fächer zu begeistern - also für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.

Was hat sich mit der Einführung der Bachelor-Studiengänge verändert?

Gressler Die Absolventen, die in unser Unternehmen kommen, sind jünger, ihnen fehlt oft eine gewisse Lebens- und Lernerfahrung. Wir helfen mit Traineeprogrammen.

Hochschulausbildung reicht nicht?

Gressler Nicht beim Bachelorabschluss. Da fehlt die Möglichkeit, sich zu spezialisieren, das Fachgebiet ganz zu erkunden. Der Berufseinstieg mit Bachelor klappt nur, wenn Firmen die jungen Menschen fördern und in sie investieren.

Als Arbeitgeber musste 3M zuletzt eine schmerzhafte Erfahrung machen - ein Mitarbeiter schoss in Ihrem Werk in Hilden um sich.

Gressler Das war höchst tragisch und hat unsere Mitarbeiter emotional sehr belastet. Zeitweise hatten wir bis zu 30 Seelsorger im Werk. Schlimm finde ich, dass wir immer noch nicht wissen, warum es zu der Tat kam. Die Polizei ermittelt, fest steht, es gab bisher weder im privaten Bereich erkennbare Probleme, noch gab es Mobbing am Arbeitsplatz. Es nagt an mir, dass diese Tat so unerklärlich bleibt.

Vor fünf Jahren hat die 3M-Spitze das jährliche Wachstumsziel auf acht Prozent angehoben. Sie hatten zuletzt 3,3 Prozent. Was läuft schief?

Gressler Das konjunkturelle Umfeld hat sich geändert. Vier bis sechs Prozent Wachstum sind realistischer. Der Wettbewerb wird härter, das spüren auch unsere Kunden aus der Industrie, die unsere Zulieferungen für ihre Waren brauchen. Erstaunlicherweise spüren wir direkt die Krise kaum, merken aber, dass sich Umsätze nicht mehr über allgemeines Wachstum generieren.

In Deutschland haben Sie massiv investiert, etwa in ein neues Logistikzentrum für Jüchen. Was folgt 2013?

Gressler Pläne gibt es für das Werk in Hilden. Dort wollen wir die Produktion von Klebebändern modernisieren und ausbauen. 20 Millionen Euro wollen wir dort investieren.

Hanna Koch fasste das Gespräch zusammen.

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