Neuss Napp: "Wir haben in Neuss kein Stuttgart 21"

Neuss · Bürgermeister Herbert Napp spricht im Interview über den Trend zu mehr bürgerschaftlichem Protest, über das gespannte Verhältnis zwischen CDU-Fraktion und Rathaus-Verwaltung und über die Rolle der Kirchen beim Thema Sonntags-Einkauf.

 Herbert Napp, seit 1998 im Amt, ist der dienstälteste Rathaus-Chef in NRW. Wie seine verstorbenen Vorgänger Herbert Karrenberg und Hermann Wilhelm Thywissen wird Napp über die Stadtgrenzen hinweg gehört.

Herbert Napp, seit 1998 im Amt, ist der dienstälteste Rathaus-Chef in NRW. Wie seine verstorbenen Vorgänger Herbert Karrenberg und Hermann Wilhelm Thywissen wird Napp über die Stadtgrenzen hinweg gehört.

Foto: Andreas Woitschützke

Herr Bürgermeister, war 2010 ein gutes oder schlechtes Jahr für die Neusser?

Herbert Napp Es war ein interessantes und gutes Jahr. Wir haben eine finanziell schwierige Zeit, die wir einigermaßen haben meistern können, ohne dass Einrichtungen geschlossen werden mussten. Mit Blick auf die Schullandschaft hat es mich sehr gefreut, dass die dritte Gesamtschule beschlossen wurde.

Auf was müssen sich die Bürger 2011 einstellen?

Napp Im nächsten Jahr werden wir den eingeschlagenen Konsolidierungskurs weiterführen müssen. Ich gehe nicht davon aus, dass die Steuern wieder üppig sprudeln werden. Bei den Gewerbeansiedlungen werden wir sicherlich eine stärkere Nachfrage erleben. Das wird auch positive Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit in der Stadt haben. In der Stadtentwicklung rückt die Aufstellung eines neuen Flächennutzungsplans in den Mittelpunkt — das wird nicht ganz einfach werden.

Was war die wichtigste Entscheidung, die der Rat 2010 getroffen hat?

Napp Die Entscheidung, eine dritte Gesamtschule in Neuss zu errichten. Dass ich nicht mit allen Entscheidungen innerhalb der Schuldebatten einverstanden war, ist kein Geheimnis.

War es erstaunlich, dass diese Entscheidung einstimmig erfolgte?

Napp Das war eine große Leistung des Rates. Diese Einstimmigkeit ist auch deshalb erfolgt, weil die Eingriffe in die übrige Schullandschaft, besonders bei den Realschulen, nicht erfolgte. Das hat die Entscheidung im Stadtrat zur Gesamtschule etwas erleichtert.

Welche wichtige Entscheidung hat der Stadtrat in diesem Jahr denn nicht getroffen?

Napp Es gibt viele Entscheidungen, die für das Fortkommen der Stadt wichtig sind. Vor allem im Planungsbereich sind bedauerlicherweise Entscheidungen nicht getroffen worden. Ein Beispiel: das Dauerthema Lessingplatz, wo endlich ein Supermarkt hin darf, aber wo es in Norf und im Neusser Rat immer noch nicht geschafft wird, eine Revitalisierung der Ortsmitte zu realisieren.

Sie haben weite Teile des Sparpakets nicht durchbekommen. Wie fällt Ihre persönliche Bilanz aus?

Napp Es war ein erfolgreiches Jahr. Es wurden Themen verabschiedet, bei denen vorher nicht unbedingt klar war, dass es dafür eine Mehrheit in der CDU gibt. Es war spannend, weil die Mehrheitsverhältnisse im Rat nicht mehr so sind wie sie einmal waren. Zu Zeiten der absoluten Mehrheit war es einfacher. Die jetzige Koalition ist leider oftmals sprachlos gegenüber dem Bürgermeister. Das hat die Arbeit nicht erleichtert.

War es so einseitig?

Napp Es mag sein, dass ich gelegentlich sprachlos gegenüber der Koalition war. Ich wünsche mir für 2011 eine intensivere und vertrauensvollere Zusammenarbeit mit der Koalition.

Warum ist die Beziehung zwischen dem CDU-BM und der CDU-Fraktion so oft disharmonisch?

Napp Diese Frage habe ich mir auch oft gestellt. Es hat einen schlechten Start nach der Kommunalwahl gegeben. Zu den Koalitionsverhandlungen mit der FDP war ich nicht eingeladen, das Koalitionspapier trägt weder meine Unterschrift noch die des damaligen FDP-Vorsitzenden. Das zeigt schon sehr deutlich, wer mit wem gesprochen hat. Ich will die Situation auch ein Stück weit an mir festmachen, weil ich von meiner Persönlichkeitsstruktur her auf solche Dinge eher aggressiv als zurückhaltend reagiere. Dann schaukelt sich eine solche Situation leicht hoch. Eine dritte Ursache: Innerhalb der CDU und im Verhältnis zwischen Fraktion und Verwaltung fehlt das Urvertrauen. Das war früher anders.

Wie geht es weiter?

Napp Ich werbe dafür, dass wir ein Jahr lang keine Personalpolitik betreiben. Wir schimpfen nicht übereinander, sondern tun so, als ob wir Vertrauen zueinander hätten. Wir üben das ein, was früher einmal die Stärke der CDU, auch im Verhältnis zur Verwaltung, war.

Das funktioniert nur, wenn die führenden Köpfe der Fraktion mitspielen.

Napp Ich bin überzeugt, dass der Leidensdruck in der Fraktion so hoch ist, dass man bereit ist, diesen Weg einzuschlagen. Alle haben gemerkt, wenn es so weitergeht wie bisher, endet es im Desaster.

Zum Jahresende gab es ein emotional geführtes Thema: den Einkaufs-Sonntag: Die Kirchen machen beim Runden Tisch nicht mit, Antragsteller SPD spricht von einer "Schlichtung" und davon, dass eine "Einigung nicht zwingend notwendig". Wie soll denn da ein Konsens möglich sein?

Napp Das Thema muss als erstes entemotionalisiert werden. Ich glaube nicht, dass der dritte oder vierte verkaufsoffene Sonntag die Grundfeste des Abendlandes erschüttern. Ich glaube, dass die SPD nicht grundsätzlich etwas gegen verkaufsoffene Sonntage hat. Es stellt sich aber offenbar die Frage, ob vier Tage die richtige Anzahl ist. Wenn das Gesetz vier zulässt, ist das ausgewogen. Mit Blick auf die Kirche sehe ich mich nicht in einer missionarischen Rolle. Ich wünsche mir im Hinblick auf die Sonntage selbst eine Beratung durch die Kirchen. Sie sollen auch klar und deutlich ihre Position deutlich machen. Diese Position müssen wir aber nicht in politisches Handeln umsetzen, denn es gibt, besonders was die Gesetzgebung betrifft, eine Trennung von Kirche und Staat.

Die Wirtschaft wächst, erzielt wieder satte Gewinne nach der Krise. Der Bürger merkt davon recht wenig, der Neusser muss sogar künftig höhere Steuern zahlen. Sozialverbänden werden die Zuschüsse gekürzt. Wie passt das zusammen?

Napp Die Gewinne von Unternehmen kommen nicht sofort eins-zu-eins als Gewerbesteuer bei uns an. Gegenwärtig sind es die Steuern aus den Jahren 2008 und 2009, als es den Unternehmen nicht so gut ging. Wir haben immer eine Verschiebung von ein, zwei Jahren. Die Erhöhung der Grundsteuer habe ich nur ungern mitbeschlossen. Weil aber große Teile des Sparpaketes nicht beschlossenen wurden, müssen auf der anderen Seite die Einnahmen erhöht werden.

Wie schwer wiegen die Einschnitte im Sozialbereich?

Napp Einen sozialen Kahlschlag vermag ich nicht zu erkennen.Wir haben viele freie Träger mit einem breiten Angebot. Die Angebote richten sich oft an die gleichen Gruppen, so dass an diesen Stellen Konzentrationen von Aufgaben sinnvoll sind, dadurch Geld gespart werden kann, ohne dass die Qualität leiden muss. Der Sportbereich hat dies rechtzeitig begriffen und geht mit uns zusammen in die richtige Richtung.

Im Schulbereich ist in den vergangenen Jahren viel Geld investiert worden, um den Sanierungsstau abzuarbeiten. Jetzt stellt das zuständige Gebäudemanagement deutlich weniger Geld zur Verfügung.

Napp Wir haben in den vergangenen Jahren in der Schulsanierung einen Schwerpunkt gesetzt und sehr viel Geld investiert. Es ist auch noch nicht alles in bestem Zustand. Sicher ist, das Geld ist nicht mehr wie im bisherigen Umfang vorhanden, deshalb müssen die Maßnahmen gestreckt werden.

Wie beurteilen Sie die Situation des Clemens-Sels-Museums? Wird es im Jubiläumsjahr 2012 zur Baustelle?

Napp Wir haben lange Zeit gehofft, durch einen Ergänzungsbau auch die Sanierung des Museums ermöglichen zu können und die Kraft in diese Richtung gelenkt. Alle Anstrengungen sind letztlich gescheitert. Das Museum ist ein in die Jahre gekommener Bau. In einer gutachterlichen Untersuchung wird nun festgestellt, was notwendig ist, um den Museumsbetrieb aufrecht zu erhalten und was dies kostet. Das wird dann nach dem Jubiläumsjahr nacheinander in Ordnung gebracht. Von Schließung kann keine Rede sein.

Demonstrationen in der Innenstadt, Unterschriftenlisten, die Sie entgegen nehmen — wie viel "Stuttgart 21" haben wir in Neuss?

Napp Nicht ein Stuttgart 21. Wir haben in Neuss eine Situation wie überall in der Republik, dass Neuerungen bei den Menschen zunächst auf Ablehnung stoßen. Es wird oft die Frage gestellt: Brauchen wir das eigentlich? Die Leute, die dies fragen, brauchen es in der Tat nicht, weil sie längst schon alles haben. In dieser weihnachtlichen Zeit würde ich mir schon wünschen, dass die Menschen nicht nur an sich denken, sondern auch an das Allgemeinwohl. Und sich auch ein Stück zurücknehmen und nicht nur konsequent die eigenen Interessen zu verfolgen.

Das Gespräch führte Klaus D. Schumilas.

(dhk)
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