Neuss Moderner Tanzabend perfekt kombiniert

Neuss · Gauthier Dance gehört zu den innovativsten deutschen Companys. Zu Recht, wie sich jetzt bei den Internationalen Tanzwochen zeigte.

 Ein berührender und poetischer Einstieg: "Burning Bridges" von Jírí Bubenicék mit der aktuellen "Faust"-Preisträgerin Anna Süheyla Harms.

Ein berührender und poetischer Einstieg: "Burning Bridges" von Jírí Bubenicék mit der aktuellen "Faust"-Preisträgerin Anna Süheyla Harms.

Foto: Regina Brocke

Irgendwie ist dem Tisch ein Bein abhanden gekommen. Und der jungen Frau die Liebe? Zumindest hängt sie da seltsam kraft- und emotionslos, halb überm Tisch, halb drunter und bekommt nicht mit, was in ihrem Rücken geschieht. Wie zwei Vorboten wirken die Männer hinter ihr in ihren umeinander rankenden Bewegungen. Schließlich regt sich auch die junge Frau, versucht, das fehlende Tischbein in Klötzchen zusammenzustecken. Aber eins fehlt immer. Und dann tanzt sie sich in einen Liebestraum — und trifft endlich Ihn. Am Ende hat auch der Tisch sein viertes Bein wieder. Fast. Ein Klötzchen fehlt, liegt aber in erreichbarer Nähe.

"Burning Bridges" von Jirí Bubenícek eröffnet einen wunderbaren Tanzabend, dessen Bild- und Bewegungssprache perfekt kombiniert sind. Gauthier Dance, die Company von Eric Gauthier am Theaterhaus Stuttgart, ist Gast bei den Internationalen Tanzwochen in der Stadthalle und zeigt sein aktuelles Programm "Future 6". Eben mit sechs Arbeiten von Choreographen, die für Eric Gauthier richtungsweisend in der internationalen Tanzszene sind — zwei auch von ihm selbst. Sechs Arbeiten mit sehr unterschiedlichen Handschriften, die ein fantastisches Ensemble überzeugend umsetzt.

Ganz zart und poetisch beginnt der Abend mit dem Finden, Fliehen- und Haltenwollen der Liebe. Anna Süheyla Harms und Florian Lochner sind ein Paar wie von Shakespeare, statt Worte haben sie den Tanz, ihre Körper. Und ihre Begleiter David Valencia M. und Juliano Nunes Pereira sind wie die wohlmeinenden weisen Narren.

Wie anders ist dagegen das Werben um den anderen in Itzik Galilis "Cherry Pink and Apple Blossom White". Sie der Inbegriff der raffinierten Weiblichkeit, er der tumbe Nerd, der hinter ihre Schachzüge immer einen Ticken zu spät kommt: Herrlich sinnlich und humorvoll von Anneleen Dedroog und Rosario Guerra zur Musik von Pérez Prados in ein getanztes Schau-Spiel übersetzt. Hier wie bei allen anderen Choreographien des Abends ist ein Begriff wahrlich wörtlich genommen: Tanztheater. Denn alle erzählen Geschichten — über Bewegung, aber auch über eine ausgefeilte Lichtregie und über sprechende Bühnenbilder und -kostüme.

Und: Das kraftvolle "Malasangre" von Cayetano Soto, das rhythmische, direkt in den Bauch dringende "Taiko" von Eric Gauthier und sein lässiges mit Selatin Kara kreiertes "So so easy" zum Rapsong von Cro, das die Tänzerpersönlichkeit fordernde Solo "I found a Fox" von Marco Goecke (für Eric Gauthier geschrieben und in Neuss sehr präsent von Rosario Guerra getanzt) — alles fügt eine sehr homogene Truppe trotz aller Unterschiede zu einem geschlossenen Abend zusammen.

Deren ganzes Können zeigt sich auch dann, wenn sie wie in dem zehn Jahre alten "Bolero" von Stephan Thoss kein maßgeschneidertes Stück tanzt. Wie diese sechs Frauen sich von gebrechlichen Damen um die 80 durch Ravels Musik zu sinnlichen Furien um die 20 wandeln — zum Niederknien.

(NGZ)
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