Neuss Mitreißender armenischer Abend im Zeughaus

Neuss · Mit einer Violine in der Hand betritt sie die Bühne, märchenhaft in ein glitzerndes lila Abendkleid gehüllt. Hinter ihr die Musiker der Deutschen Kammerakademie (dkn), vor ihr das Publikum im nahezu ausverkauften Saal des Zeughauses. Etwas unsicher verklingen die ersten Töne, doch dann lässt die zierliche armenische Geigerin Anush Nikoghosyan ihr Instrument singen – mit einem beeindruckenden Klangvolumen erreichen sogar die höchsten Töne die verborgensten Ecken des Saals.

 Anush Nikoghosyan ließ ihre Geige singen.

Anush Nikoghosyan ließ ihre Geige singen.

Foto: pro Classics

Es ist ein Abend, der ganz im Zeichen Armeniens steht: Der armenische Dirigent Eduard Topchjan leitet die Kammerakademie; gespielt werden Werke armenischer Komponisten; vor dem Konzert führt Monika Werhahn-Mees mit Fotos in die Geschichte und Kultur Armeniens ein; ausgestellt sind zudem Gemälde des armenischen Künstlers Artur Assoyan.

Im Programm wird dem Publikum "armenisches Temperament" verprochen. Das Versprechen wird gehalten: Resolut schwingt Topchjan seine Arme durch die Lüfte und führt die Kammerakademie hochenergisch durch Tigran Mansuryans Konzert für Violine und 18 Solostreicher. Weder bei den folkloristischen Anspielungen noch bei den flirrenden, abwärts trillernden Glissandi, den gleitenden Passagen, verliert er seine natürliche Spannung. Ohne Verluste wird diese Energie auf die Musiker übertragen, zu einer Masse verschmolzen offenbaren sie offensiv ihr Innerstes – leidenschaftlich, schmachtend, klagend. Ein mitreißender Moment zeitgenössischer armenischer Musik.

Traditionalistisch kommen die drei Auszüge aus den 14 armenischen Miniaturen von Komitas Vardapet daher. Die Werke bringen bereits so viel Pathos mit, dass Gefahr droht, sie im Kitsch zu ersticken. Doch Topchjan wahrt Authentizität: Durch spritzige rhythmische Finessen betont er einerseits den Witz der Stücke – etwa in den wunderbar leicht gezupften Partien in den tiefen Streichern, bei denen man nicht stillsitzen möchte. Andererseits versteht er es auch, glaubwürdig tiefe Trauer auszudrücken.

Ganz besondere Klangfarben mischt Paukist Jürgen Grözinger in Eduard Mirzoyans Sinfonie für Streicher und Kesselpauken unter den Streicherklang: Fast meditativ verliert er sich in äußerst zarten Wirbeln, als würde er das Fell behutsam massieren, um dann wieder in ein virtuoses Donnern auszubrechen. Die Spielfreude merkt man den Musikern deutlich an, das Glück ist ihnen vom Gesicht abzulesen. Und auch dem ein oder anderen Hörer kann ein Lächeln entlockt werden – spätestens nach der Zugabe.

(NGZ)
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