Neuss Mit Goethe zwischen den Welten wandern

Neuss · Das Rheinische Landestheater zeigt in einer Uraufführung Goethes "West-östlichen Divan" in einer eigenen Bühnenfassung.

 Goethes "Divan" besteht aus kleinen Holzpodesten: Die RLT-Inszenierung von Sahar Amini im Studio braucht nicht viel auf der Bühne.

Goethes "Divan" besteht aus kleinen Holzpodesten: Die RLT-Inszenierung von Sahar Amini im Studio braucht nicht viel auf der Bühne.

Foto: B. Hickmann

Der Anfang ist ein rechtes Gucken und Suchen. Denn schon der Raum ist so ganz anders als gewohnt: Statt der üblichen Sitzreihen gibt es Podeste mit Sitzkissen, an drei Seiten gruppiert um eine völlig nackte Spielfläche. Im Studio des RLT geht das; der Raum gibt das her und damit auch gleich ein Signal: Das, was wir gleich sehen und hören, kommt aus unserer Mitte, aus unserem Leben. Distanz ist da nicht angebracht.

Ein großes Versprechen, was Regisseurin Sahar Amini, Dramaturgin Barbara Noth und Ausstatterin Julia Rösler da geben. Goethes "West-östlichen Divan" haben sie sich vorgenommen und für einen Abend auf der Bühne bearbeitet, der das Ende offen lässt. Wer nach rund 70 Minuten den Raum wieder verlässt, ist vermutlich immer noch derselbe, aber er wird vielleicht den Drang spüren, sich mit den Gedichten Goethes zu beschäftigen, die dieser wiederum verfasste als Hommage und Antwort zugleich an den persischen Dichter Hafis (14. Jahrhundert). Denn man geht ein bisschen betäubt hinaus; betäubt von einem Gefühl, dass der Blick auf eine Kultur verstellt ist, wenn wir beim kleinen Wort "östlich" vor allem wie in diesen Tagen üblich an Terror und Blutvergießen denken und darüber ihre berührende und große poetische Kraft ignorieren.

"Sich zu wiegen, lass' ich gelten; Also zwischen Osten und Westen Sich bewegen, sei's zum Besten!" ist ein Wort, das aus dem Nachlass Goethes zum "West-östlichen Divan" überliefert ist, und es trifft diesen Abend bis in die kleinste Verästelung. Das große Verdienst von Amini und ihrem Team ist nämlich das: Sie montieren Goethes Texte mit denen von zeitgenössischen Autoren und schlagen einen großen Bogen zwischen dem, was der Mensch sich erträumt, und dem, was der Alltag ihm aufzwingt.

Drei Wanderer zwischen den Welten — die Schauspieler Linda Riebau und Andreas Spaniol sowie der Musiker Henning Beckmann — nehmen uns mit auf eine Reise, die allein über Sprache funktioniert. Die Erinnertes aus der Vergangenheit, Erlebtes aus der Gegenwart und Gewünschtes aus der Zukunft verknüpft und manches Mal von den Dreien durch kleine Blicke und Gesten ironisch gebrochen wird.

Der Einstieg in den Abend ist locker, ein Wortassoziationstest — mit sprechenden, manchmal bissigen, manchmal auch etwas platt-witzigen Ergebnissen: Mekka — Jakobsweg, Burka — Bulimie, Minarette — Yogurette. Aber er führt auf den Weg, den die drei Namenlosen unter dem Motto "Wenn du kein Reisender bist, wie willst du dann führen?" beginnen. Und kommen sie am Ende irgendwo an? Nun, das ist nicht sicher und bleibt dem eigenen (Wunsch-)Denken überlassen.

Vielleicht kein großer, aber ein anregender Abend, der zudem überzeugend die Vielseitigkeit des Studios als Experimentierfeld für ungewöhnliche Theaterformen unter Beweis stellt.

(NGZ/rl)
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