Neuss Mit Faust auf der "Baustelle des Lebens"

Neuss · Regisseur Stefan Filipiak hat mit seinem Ensemble eine zeitgemäße Version von Goethes "Faust I" erarbeitet. Im Kulturforum "Alte Post" hatte das rund zweistündige Stück jetzt Premiere - und wusste dabei zu gefallen.

 Die Zeiten waren schon mal bessere: Heinrich Faust (gespielt von Ernst Geesmann) hadert im Kulturforum "Alte Post" mit dem Leben. Gott und Mephisto verhandeln beim Leeren eines Flachmanns über die Seele des Gelehrten.

Die Zeiten waren schon mal bessere: Heinrich Faust (gespielt von Ernst Geesmann) hadert im Kulturforum "Alte Post" mit dem Leben. Gott und Mephisto verhandeln beim Leeren eines Flachmanns über die Seele des Gelehrten.

Foto: Stefan Filipiak

Um Goethes "Faust" zu erzählen reicht es, die geflügelten Worte aus dem Drama aneinander zu reihen. Hier ist nur Platz für einige Wenige. Das geht los beim "Vorspiel auf dem Theater". Drei Personen bestreiten die erste Szene. Der "Theaterdichter" ist streng genommen, kein Theaterdichter, sondern nur ein Dichter, weil es ihn vorm Publikum schaudert und weil er mehr an die Nachwelt als an den Augenblick denkt, in dem allein das Theater sich verwirklicht.

Die "Lustige Person" vertritt das reine Theater und will vor allem der Mitwelt Spaß bereiten. Der "Direktor" ist gewillt, "der Menge zu behagen" und weiß doch, dass er, um die Kassen zu füllen, den Dichter braucht. Am Ende dieses Gesprächs fällt das erste Zitat, das vermutlich jeder kennt: "Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten seh'n."

Im Kulturforum "Alte Post" findet das Vorspiel noch vor dem Betreten des Bühnensaals statt. Zwar fehlt die "Lustige Person", dafür aber lernt das Publikum alle acht Darsteller kennen, die sich die 17 Rollen des Goethe-Dramas teilen werden, einschließlich Pudel. Regisseur Stefan Filipiak hat nach sorgfältiger Auswahl Erwachsene für ein Ensemble gefunden, das mit ihm an der Inszenierung von "Faust I" arbeiten wollte. Das Ganze war ein großes Vorhaben. Stefan Filipiak resümiert im Programmheft: "Nahezu ein Viertel unserer Probenzeit brauchten wir, um überhaupt gedanklich zu durchdringen, was der Autor vielleicht sagen wollen könnte."

Das Ergebnis ist ein sehr sehenswerter, zweistündiger Theaterabend. Auf der Bühne hat Bildhauer Jürgen Zaun eine Baustelle eingerichtet, mit Flaschenzug und Dixi-Klo. Es ist eine "Baustelle des Lebens", auf der Heinrich Faust mit Midlife-Crisis und Burnout hadert. Gleichzeitig verhandeln Gott und Mephisto beim Leeren eines Flachmanns über die Seele des Gelehrten. Zweites Zitat, vom Bösewicht leicht lallend deklamiert: "Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern." Auch das Volk hat Alkoholbedarf. Beim Osterspaziergang, dessen Glockenklang durch ein Handyläuten ersetzt wird, grölt die Menge: "Einer geht noch, einer geht noch rein", und das ist nicht von Goethe.

Im Übrigen aber hält sich Filipiaks Textfassung ziemlich genau an die klassische Vorlage, einschließlich mancher Stelle mit viel hehrem Pathos. Für die Unterhaltung sorgt unter anderem der Pudel, von Gott und Mephisto in der Studierstube zum übermütigen Fliegen gebracht. Drittes Zitat: "Dem Hunde, wenn er wohlerzogen, ist selbst der weise Mann gewogen."

Für das vierte Zitat muss natürlich Gretchen herhalten. "Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist schwer", diesen Blues eines verliebt-verzweifelten Jungfräuleins hört man als Power-Rap. Gleichzeitig wird Faust von Mephistos Helfern mit Massage, Red Bull, Achseldeo und Mundspray auf sein erotisches Abenteuer vorbereitet. Der Rest ist bekanntlich nicht Schweigen, sondern zwei Morde, viel Frust und Kerkerelend. Somit fünftes Zitat: "Heinrich! Mir graut's vor dir."

Die Spielleistung der Amateure ist beachtlich, ihre sprachliche Leistung hervorragend. Vier Darsteller seien dabei besonders erwähnt: Ernst Geesmann als Faust mit riesiger Textmenge, die er souverän beherrscht. Weiterhin Martina Völkel als Gretchen und Traudel Pothen-Salvati, die ganze sechs Rollen stemmt. Der Mephisto von Vanessa Harbrecht ist eine Glanzleistung, die allein den Besuch dieser Inszenierung lohnt.

Hierzu das sechste und auch letzte Zitat: "Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Wer Vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Und jeder geht zufrieden aus dem Haus."

(NGZ)
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