Neusser Kirmesgesellschaft „Fidele Brüder“ Helpenstein feiert seit 100 Jahren Kirmes

Neuss · 100 Jahre werden die feierfreudigen Fidelen Brüder in diesem Jahr alt. Doch die große Sause fällt aus. Was bleibt, ist die Hoffnung auf „eine schöne Kirmes ohne Kirmes“ an diesem dritten Juli-Wochenende.

Das bisher letzte Schützenfest fand 2019 statt: Gefallenenehrung und Zapfenstreich am Kappelchen.

Das bisher letzte Schützenfest fand 2019 statt: Gefallenenehrung und Zapfenstreich am Kappelchen.

Foto: Andreas Woitschützke

Gerade einmal 380 Einwohner zählt das Dorf Helpenstein, zwischen Erft und so genannter Kohlenstraße, die Bundesstraße 477, im Neusser Süden gelegen. Ein Mini in der Großstadt, wie so mancher kleine Ort im Stadtgebiet: Dierkes, Gier, Lanzerath, Röckrath. Meist klein, leise, unauffällig. Doch, da hebt sich Helpenstein ab. Klein ja, leise nicht immer, unauffällig nein. „Anders als die Anderen“ so begrüßt selbstbewusst die Homepage helpenstein.com seine Besucher, und damit es keiner vergisst: Noch 364 Tage bis zur Helpensteiner Kirmes 2022. Die ist Kult. Im Dorf sowieso, aber auch weit darüber hinaus. Die gastgebende Kirmesgesellschaft freut sich über 150 zahlende Mitglieder.

Ja, richtig gerechnet. Wer vor 364 Tagen voller Vorfreude steht, der hätte heute mit dem Fest beginnen wollen. „Wie haben wir uns auf die Kirmes 2021 gefreut“, schreibt Martin Kluth (66), seit 44 Jahren Präsident der Kirmesgesellschaft, seit 49 Jahren im Vorstand. Nun diktieren Pandemie und Lockdown zum zweiten Mal Feierabstinenz. Dabei hätte es ein rauschendes Fest werden sollen. Ein Jubiläum. 100 Jahre werden die feierfreudigen Fidelen Brüder alt. Doch die große Sause fällt aus. Was bleibt, ist die Hoffnung auf „eine schöne Kirmes ohne Kirmes“ an diesem dritten Juli-Wochenende. Privat. Im kleinen Kreis. In der Garage oder im Garten. Ein Imbiss- und ein Eiswagen haben sich angesagt. Der Präsident nimmt es mit Humor: „Die Helpensteiner werden ihre Ärzte demnächst mit Top-Leberwerten überraschen.“

Das Helpensteiner „Buchmacher“-Trio (v.l.): Präsident Martin Kluth, Gestalterin Susanne Schlagmann-Titze und „Vize“ Wolfgang Bongartz. 
  Foto: W. Walter

Das Helpensteiner „Buchmacher“-Trio (v.l.): Präsident Martin Kluth, Gestalterin Susanne Schlagmann-Titze und „Vize“ Wolfgang Bongartz. Foto: W. Walter

Foto: Wolfgang Walter

So sind die Helpensteiner. Sie lassen sich nicht unterkriegen, blicken zuversichtlich in die Zukunft und schaffen immer wieder Neues. Auch in diesem Jahr. Zur ausgefallenen Jubiläumskirmes legen sie eine Festschrift vor – Festschrift? Bodenloses Understatement. Ein Buch! 260 Seiten stark, Hochglanzdruck. Prall gefüllt mit Geschichte und Geschichten, stark bebildert und noch besser layoutet. Modern. Frisch. Faszinierend. Ein Lesebuch, das nicht nur Helpensteinern Freude Bereiten wird.

Alle 150 Mitglieder der Fidelen Brüder bekommen ein Buch geschenkt, weitere 150 Exemplare sollen verkauft werden. Der Preis steht noch nicht fest. Vorgeschlagen sind 19,21 Euro – eine Erinnerung an das Gründungsjahr der Kirmesgesellschaft zu einer Zeit, in der die Belgier hierzulande Besatzungsmacht waren. „Wir werden den richtigen Verkaufspreis finden“, sagt Präsident Kluth, der versichert: „Die Finanzierung steht.“ Die Stadt Neuss habe die Zuschüsse für Schützenvereine, Bruderschaften und Kirmesgesellschaften auch während der Pandemie gezahlt, obwohl alle Feste abgesagt werden mussten und – wenn überhaupt – wesentlich geringere direkte Kosten, wie zum Beispiel die Honorare für die Klangkörper, anfielen. „Die Stadt hat uns Empfängern auferlegt: Finanziert mit den Geldern gute, einmalige Projekte“, sagt Martin Kluth, „wir haben den Betrag in die Festschrift gesteckt.“ Das sei doch ein gutes Projekt. Gelungen ist es allemal.

Da hat der Präsident der Fidelen Brüder recht. In mehr als einjähriger Arbeit ist ein Buch entstanden, dass weit mehr ist als eine reine Chronik der 100 Jahre Kirmesgesellschaft. Am Ende liegt ein Druckwerk vor, das ein Porträt einer kleinen, intakten Dorfgemeinschaft skizziert. Geschichte von den Anfängen in der Jungsteinzeit – durch Funde bestätigt – über die Spuren der Römer, fränkische Wurzeln, die Helpensteiner Motte bis hin zur Blüte und Ende der Herrschaft Helpenstein sowie der Kriegszeiten des 20. Jahrhunderts bis zum Heute. Es geht um den Bilderstock, das Kapellchen und die Legende der Hildegundis von Helpenstein. Vorgestellt werden die Helpensteiner Vereine, der strategische Bahndamm, die Familiennamen und die landwirtschaftlichen Betriebe im Dorf, die einst für Erdbeerplantagen und Stangenbohnen-Anbau standen. Ein großer Bogenschlag von der Vergangenheit über die Gegenwart bis zur (digitalen) Zukunft: Helpenstein im Internet und in den Sozialen Netzwerken.

Dabei übernehmen die Fidelen Brüder die Rolle als Bindeglied, das den Rhythmus im Dorfleben der jüngsten 100 Jahre vorgibt. Ein Wir-Gefühl als Kitt der Gesellschaft in Jahren, in denen gefeiert wird, und in Jahren, in denen nicht gefeiert werden kann – wie an diesem Wochenende. Wer so die (Dorf-)Gemeinschaft durchdringt, der schafft 100 Jahre ... und mehr. Ad Multos Annos.

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