Neuss Meererhof – die Bausünde

Neuss · Ein städtebaulicher Ideen-Wettbewerb leitete 1963 den Niedergang und Abriss des Neumarktviertels ein. Dort entstand der späterer Meererhof. Der geplante lebendige Wohn- und Geschäftsbereich entwickelte sich nie, Probleme gab es von Anfang an.

Jetzt sollen es Studenten richten. Die Stadt hatte im Frühjahr einen Wettbewerb unter Architektstudenten der Fachhochschule Düsseldorf ausgelobt. Aufgaben: Sie sollten Ideen zur Umgestaltung der Wohn- und Geschäftsfläche des Meererhofs entwickeln.

Es ist der jüngste Versuch, diesem Areal in der Innenstadt mehr Leben und Freundlichkeit einzuhauchen. Ein Versuch von vielen. Denn der Meererhof, der erst per Ratsbeschluss vom 12. Mai 1969 diesen Namen trägt, steht heute für eine verfehlte städtebauliche Planung.

Auslöser ist der städtebauliche Ideen-Wettbewerb "Neumarkt" aus dem Jahr 1963. Damit soll die rund 8,6 Hektar große Fläche zwischen Niederstraße, Glockhammer, Rheinstraße und Hafenstraße neu geordnet werden. In einer Zeit, in der die Stadt nicht ganz 100 000 Einwohner zählt (heute 154 000), in der viele Menschen Wohnraum in der Innenstadt nachfragen. Das Neumarktviertel, so heißt es vor 50 Jahren, ist zwar im Zweiten Weltkrieg nicht großflächig zerstört worden.

Aber, das ergeben Untersuchungen, die die Stadt Anfang der 1960er-Jahre in Auftrag gibt, viele Wohnhäuser weisen gravierende bauliche Mängel auf. "Allerdings", so relativiert der Stadtarchiv-Leiter Jens Metzdorf, "belegen Bauakten und die Untersuchungen auch, dass es keineswegs so war, dass der gesamte Wohnungsbestand heruntergekommen war. Es gab sicherlich solche Ecken." Denn so manche Eigentümer investieren nach dem Krieg viel Geld in die Sanierung ihrer Häuser.

Worum es geht, ist den Ausschreibungsbedingungen des Ideen-Wettbewerbs zu entnehmen: um die " Humanisierung der Stadt" und darum, ein "neues Gehäuse" zu schaffen. Das Wohnen in der Innenstadt soll derart an Reiz gewinnen, dass ein Geschäfts- und Büroviertel nach Dienstschluss "nicht wie ausgestorben daliegt". Die Wettbewerbsaufgabe ist unmissverständlich: "Die Planung kann nicht von der Zufälligkeit einer zwar bestehenden, jedoch in ihrem Wert oft fragwürdigen Bausubstanz abhängig gemacht werden. Abbruch ist nötig."

Der Neusser Oberbaurat Erhard Helbig, einer der damals acht Fachpreisrichter, fällt ein vernichtendes Urteil über den ehemaligen Viehmarkt Neumarkt, der seit dem 13. Jahrhundert besteht: "Die fragwürdige Baustruktur mit vielfach schlimmen baulichen, hygienischen und sanitären Verhältnissen verlangt eine eingehende Sanierung." Der Ideen-Wettbewerb stößt bundesweit auf eine beachtliche Resonanz: 59 Architektenbüros fordern Unterlagen an.

Bis Ende November 1963 gehen 39 Wettbewerbsbeiträge ein, von denen zehn in die engere Wahl kommen. Der erste Preis geht an die Architekten Zimmermann (Köln), Cornelius und Ingenday (Neuss). Das Preisgericht urteilt: "Die Planer haben mit großem Feingefühl den Maßstab getroffen, der für eine Bebauung in dem Sanierungsgebiet einer Altstadt erwartet werden darf... Die Räume, die im Inneren des Baugebietes gewonnen sind, sind von intimem Reiz. . .", die Anordnung der Geschäfte lässt "ein lebendiges Geschäftsleben erwarten".

Skeptisch ist der langjährige, ehemalige CDU-Stadtverordnete Heinz Günther Hüsch, der bald auch Sachpreisrichter ist: "Im Grundsatz bin ich nicht dafür, sich in dieser Randlage auf Läden und Gewerbe zu konzentrieren."

Das Neumarktviertel und ganze Straßenzüge darin werden nach und nach dem Erdboden gleich gemacht, nur wenige Häuser bleiben stehen, so wie das "Haus Jordans" an der Rheinstraße. Das daneben stehende prachtvolle Wohnhaus wird hingegen abgerissen.

Straßen verschwinden, neue werden angelegt, aus Grünbereichen werden Betonflächen, aus Häuserreihen mehrgeschossige Gebäudekomplexe. "Mit dem seit 1980 gültigen Denkmalschutz und der heute vorherrschenden Sichtweise, was die Stadtbildpflege angeht, wäre das Neumarktviertel niemals so radikal verändert worden", sagt Stadtarchivleiter Metzdorf. Hüsch sagt: "Die Rechner haben sich damals durchgesetzt, da ist dann zum Teil Schreckliches entstanden."

Hoch gesteckte Erwartungen der Planer und Politiker werden schon bald enttäuscht. Konzerne wie der Kaufhof verzichten auf einen Standort im Bereich des neuen Neumarktes, weil sie dort geringe Umsätze befürchten. In einem Aktenvermerk hält der damalige Oberbürgermeister Herbert Karrenberg im April 1974 fest, dass er nach einem Gespräch mit der für die Vermarktung zuständigen Gesellschaft "Moderne Stadt" dem Stadtrat vorschlagen will, den Meererhof per Buslinie mit der Bustrasse zu verbinden.

In der ersten Ausgabe der "Meererhof-Postille" von April 1979, herausgegeben vom Interessenverein der Ladenmieter, ist schon davon die Rede, dass "Moderne Stadt" für "Verschönerung und Umgestaltung" Investitionen in "enormer Höhe" vornehmen will. Der Vorsitzende des Interessenvereins, Wolfgang Albertz, besucht Karrenberg. Denn wieder haben im Meererhof Geschäfte aufgegeben.

Der OB notiert: "Es bestehen weitreichende Überlegungen für eine attraktivere Gestaltung des Bereiches." Außerdem solle es auch architektonische Änderungen geben. Auffallend selbstkritisch schreibt Joachim Jankow 1991 in einer städtischen Chronologie über das Neumarktviertel, dass der "großzügig dimensionierte Innenhofbereich" sich in der Folgezeit "mehr und mehr als deplaziert" erweist.

Die Situation "gipfelt" in der Forderung von Anwohnern, "den Innenbereich des Meererhofes mit Gittern abzuschotten, um ,Unbefugte' fernzuhalten". Zur städtebaulichen Zielsetzung einer "Humanisierung der Stadt" und zu den unterschiedlichen Sichtweisen von damals und heute formuliert Jankow: "Warum ein historisch gewachsenes Viehmarktviertel ,inhuman' sein sollte, lässt sich aus heutiger Sicht kaum noch nachvollziehen." Für Hüsch steht hingegen eines fest: "Ich würde das Viertel auch heute noch abreißen, aber nicht mehr so neu bauen."

(NGZ)
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