Neuss Kunst aus dem Volk

Neuss · Mit der Ausstellung "Mit unverstelltem Blick – Naive Kunst aus Polen" zeigt das Clemens-Sels-Museum große Teile einer Sammlung, die sonst im Depot lagert. Schauplatz ist seine Dependance in Hombroich, das Feld-Haus.

 Ein Bettelbrief des Malers Nikifor mit den "Drei Heiligen".

Ein Bettelbrief des Malers Nikifor mit den "Drei Heiligen".

Foto: M. Langenberg

Dass ihnen mit ihren Bildern und Schnitzereien eines Tages ein "unverrückbarer Stellenwert in der Kunst" zugesprochen wird, haben die Bäuerin Katarzyna Gawlowa, der Feldarbeiter Nikifor, der Hirte Jan Lamecki oder der Fabrikarbeiter Adam Zegadlo zu Lebzeiten wohl kaum gedacht. Gemalt oder geschnitzt haben sie, weil es ihnen ein Bedürfnis war. Weil ihnen die Motive etwas bedeuteten und sie sie ständig um sich haben wollten. Weil sie eben nicht anders konnten.

 Adam Zegadlo gehört zu den bekannten Künstlern unter den Naiven – etwa mit seiner seiner geschnitzten und farbig bemalten Eule.

Adam Zegadlo gehört zu den bekannten Künstlern unter den Naiven – etwa mit seiner seiner geschnitzten und farbig bemalten Eule.

Foto: Woi

Katarzyna Gawlowa (1896–1983) zum Beispiel hatte die Wände ihres Wohnzimmers komplett bemalt. Zumeist mit religiösen Motiven, die indes alle von einer "Werkharmonie" zeugen, wie die Kunstwissenschaftlerin und Direktorin des Clemens-Sels-Museum, Ute Husmeier-Schirlitz, sagt. Und damit weisen sie ein ganz wesentliches Merkmal für die Kunst auf, die als "naiv" bezeichnet wird, von der Fachleute aber fast noch lieber als "authentisch" sprechen.

 Wladyslaw Rybkowski: "Vogelkonzert des Professor Pinkelman im Paradies".

Wladyslaw Rybkowski: "Vogelkonzert des Professor Pinkelman im Paradies".

Foto: Martin Langenberg

Das Clemens-Sels-Museum besitzt eine laut Husmeier-Schirlitz in der Bundesrepublik wohl einzigartige Sammlung an Naiver Kunst mit mehr als 800 Werken, von denen nun 84 für einen Ausstellung im Feld-Haus ausgewählt wurden. Der Titel der Schau ist dabei Programm: "Mit unverstelltem Blick" haben die Künstler einst für ihren "Wirklichkeitstraum" – so zitiert Kurator Martin Langenberg einen Intepretationsansatz – zu Pinsel oder Schnitzmesser gegriffen, "und es wäre schön, wenn die Besucher ebenso schauen würden", sagt Husmeier-Schirlitz. Den unverstellten Blick braucht man sicherlich, um zum Beispiel in den Bildern von Katarzyna Gawlowa jene Qualität zu erkennen, die später Avantgarde-Künstler inspiriert hat. Aber die Werkharmonie, das Sich-treu-bleiben in der Form der Gesichter, der Körper und in der Bildanordnung erschließt sich dann tatsächlich – genauso wie in den Holzskulpturen zum sehr beliebten Thema "betrübter Christus".

Einen besonderen Stellenwert unter den polnischen Naiven und auch in der Ausstellung nimmt Nikifor ein. (1895–1968). Er und der Bildschnitzer Adam Zegadlo (1910–1989) gehören zu den bekanntesten, wobei das Werk von Nikofor auf mehrere 10 000 Bilder geschätzt wird. Von Haus und der Natur aus nicht gut ausgestattet hat der taubstumme Sohn und Analphabet einer Bettlerin mit dem Malen angefangen, als er wegen einer offenen Tuberkulose in einem Krankenhaus lag.

Seine Stadtansichten, Porträts und religiösen Bilder verkaufte er, wo er konnte. Dass er sich dafür Bettelbriefe schreiben ließ, die er bemalte, zeigt ein Exponat, das Irmgard Feldhaus für ihre eigene Sammlung erstanden hatte und jetzt dem Sels-Museum gehört. Es ist zum ersten Mal zu sehen und symbolisiert, wie sehr diese polnischen Maler und Bildschnitzer zeit ihres Lebens sich in einem normalen Alltag behaupten mussten. Viele erlebten erst in ihren letzten Jahren ein Würdigung durch Ausstellungen in Galerien oder Museen.

(NGZ)
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