Jüdische Kulturtage in Neuss Konzert für Orgel und Viola mit musikalischen Entdeckungen
Neuss · Im Rahmen der jüdischen Kulturtage brachte ein interreligiöses Konzert in der Christuskirche Orgelmusik und jüdische Literatur zusammen. Unter dem Motto „Kirche trifft Synagoge“ musizierten der Luxemburger Organist Paul Kayser und der in der Ukraine geborene, in Lübeck lebende Semjon Kalinowsky (Viola) ein anspruchsvolles Programm, das mit vielen unbekannten, gleichwohl hochkarätigen Kompositionen aufwartete.
Vor allem Bratschist Kalinowsky hat in langjährigen Forschungen und Bearbeitungen für sein Instrument dafür gesorgt, dass man Vergessenes wieder hören konnte. Dazu gehörte ein Fest-Präludium zu „Rosh Hashannah“, dem jüdischen Neujahrsfest, von Louis Lewandowski. Der deutsch-jüdische Komponist, in dessen Namen seit 2011 in Berlin ein Festival stattfindet, hat große Orgelwerke geschrieben. Denn in den größeren Städten gab es auch in Synagogen große Instrumente, die in der Reichsprogromnacht 1938 nahezu vollständig zerstört wurden.
Der Kölner Komponist Max Bruch hat zum jüdischen Fest Jom Kippur „Kol Nidrei“ für Violoncello und Orchester geschrieben. Den Bußgesang zelebrierte Semjon Kalinowsky in einer Fassung für Viola und Orgel in ungemein zarten, zugleich transparenten Klängen seines Instrumentes. Eine wunderbare (Wieder-)Entdeckung waren auch die drei israelischen Melodien für Viola und Orgel von Joachim Stutschewsky. Der russisch-israelische Komponist und Cellist war Mitglied des Jenaer Streichquartetts, später des Wiener Streichquartetts, emigrierte 1938 nach Palästina, wo er 1982 in Tel Aviv starb. 1938 musste auch Jaromir Weinberger emigrieren. Der tschechische Komponist mit jüdischer Abstammung hatte in Leipzig bei Max Reger studiert. Seine Präludien für Orgel solo „Widmungen“ hatte er 1954 in Amerika geschrieben.
Paul Kayser gestaltete sie sehr abwechslungsreich, indem er das volle Registerpotenzial der Orgel nutzte. Noch mehr faszinierte seine Improvisation über die israelische Nationalhymne „ha Tikwa“ (Die Hoffnung). Die sehr europäische Melodie, die Ähnlichkeit mit dem Hauptthema aus Smetanas „Die Moldau“ hat, ließ er in allen Stimmen deutlich auftreten. Schwebende Sechszehntel-Glissandi verrieten, dass der Luxemburger Improvisation bei Wolfgang Seifen in Berlin studiert hat. Eine barocke Kirchensonate des Engländers Henry Eccles beschloss ein beeindruckendes Konzert mit Entdeckungen von hochinteressanten Kompositionen.