Neuss Kabarettist Jens Neutag holt zum Gegenschlag aus
Neuss · Wer seine Stimme für Jens Neutag abgegeben hatte, wurde nicht enttäuscht. Der Kabarettist hatte zwar im Wahlkampf nichts versprochen, hielt aber alles. Und so war bei den Zuschauern zumindest gegenüber dem ungewollten Bürgermeister-Kandidaten des fiktiven Ortes Stadtkirchen keinerlei Politikverdrossenheit zu spüren. Im Gegenteil: Das Publikum im Theater am Schlachthof (TaS) amüsierte sich prächtig, lachte mal hellauf, dann wieder fast verschämt über das pointenreiche Programm "Mit Volldampf", das Neutag erst drei Wochen zuvor aus der Taufe gehoben hatte. Darin erweist er sich einmal mehr als kluger und bissiger, bisweilen nachdenklicher Beobachter und Sprachakrobat auf hohem Niveau.
Jens Neutag reicht es. Wenn Trump, Erdogan und Co. mit Realsatire dem Kabarett das Wasser abgraben, holt er zum Gegenschlag aus und geht - zumindest auf der Bühne - als Kabarettist in die Politik. Zwar eher aus Versehen, doch so oder so ist das Ergebnis extrem amüsant. Deutlich kurzweiliger jedenfalls als der Bundestagswahlkampf, dem Neutag "den Unterhaltungswert eines VHS-Kurses ,Angeln für Anfänger'" zuspricht. Jamaika-Koalition? Beim Anblick von Merkel, Lindner und Hofreiter sind Sonne und Exotik so ziemlich die letzten Assoziationen, die dem 45-Jährigen kommen. Da findet er den fast vergessenen Ausdruck "Schwampel" für die Verbindung aus CDU, FDP und Grünen schon besser: "Auch wenn das nach Brigitte-Diät klingen mag." Natürlich thematisiert Neutag das gute Abschneiden der AfD in den neuen Bundesländern. Aber auch die etablierten Parteien kriegen ihr Fett weg, wenn er Außenminister Sigmar Gabriel etwa das diplomatische Geschick eines Kim Jong-un attestiert.
Doch Neutag ist nicht immer hochpolitisch. Urkomisch ist schon sein Intro, in dem er auf die verwirrend vielen Wahlmöglichkeiten im Leben des modernen Menschen anspielt - beim Vergleich eines recht übersichtlichen Frühstücks im Landgasthof ("Rübenkraut - das ist Hiroshima für den Magen. Das wird im Dschungelcamp gar nicht mehr eingesetzt") und der Frühstückskarte in einem Berliner Hippster-Café vom "Umfang des Neuen Testamentes". Wunderbar entlarvend auch manche Verknüpfungen, so als er von einer "integrationsunwilligen Horde junger Männer in der Fußgängerzone" berichtet - ganz klar: ein Junggesellenabschied.
Der Auftritt im TaS - für Neutag war er fast so etwas wie ein Heimspiel. Oder - um im wahlkämpferischen Bild zu bleiben - politisches Stammland. Immerhin machte er seine ersten Gehversuche hier und hielt über die Jahre die Verbindung zur Quirinusstadt -als Autor für den Neusser Stunk oder als Gast der "Rathauskantine".
Info Nächste Auftritte: Sonntag, 15. Oktober, 12 Uhr, Partytur (Am Lindenplatz 34), Mittwoch, 15. November, 20 Uhr Trafo-Station (Deutsche Straße 2)