Neuss Joachim Kròl trifft Wellershoff

Neuss · Die Aktion "Neuss liest ein Buch" der Stadtbibliothek wurde im Studio des RLT gestartet. Rund 100 Zuhörer folgten fasziniert dem Gespräch mit Autor Dieter Wellershoff und der Lesung aus "Der Ernstfall" von Joachim Kròl.

 Sie gestalteten einen faszinierenden Abend: Joachim Król, Thomas Böhm und Dieter Wellershof (v.l.)

Sie gestalteten einen faszinierenden Abend: Joachim Król, Thomas Böhm und Dieter Wellershof (v.l.)

Foto: Andreas Woitschützke

Es war ein Abend, der die Zuhörer nach seinem offiziellen Ende noch lange zusammenstehen und reden ließ. Denn einfach nach Hause zu gehen nach dem, was da über zwei Stunden lang Geist und Gefühl beschäftigt hatte, schien den meisten unmöglich. Zu vieles hatte der Schriftsteller Dieter Wellershoff mit seinen persönlichen Schilderungen von seinen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg angestoßen, zu viele Bilder hatte der Schauspieler Joachim Kròl mit dem Lesen aus Wellershoffs autobiografischem Buch "Der Ernstfall" in den Köpfen der rund 100 Zuhörer erzeugt, als dass man am Ende einfach alles abstreifen und zur Tagesordnung übergehen konnte.

Wenn es überhaupt eines Beweises bedurft hätte, dass der Leiter der Stadtbibliothek, Alwin Müller-Jerina, für die zweiwöchige Leseaktion "Neuss liest ein Buch" keinen Besseren hätte finden können als Dieter Wellershoff und sein Buch über die "Innenansichten eines Krieges" (so der Untertitel) — die Auftaktveranstaltung im Studio des Landestheaters hat ihn geliefert. Moderator Thomas Böhm, Literaturwissenschaftler und zudem ein Freund des 1925 in Neuss geborenen Wellershoff, hatte mit der richtigen Mischung aus Sensibilität und Unbedingt-wissen-wollen eine Gesprächsatmosphäre geschaffen, die nicht nur sein direktes Gegenüber, sondern auch das Publikum als die Zuhörenden und Joachim Kròl als Lesenden einband.

Ausgehend von dem Buch "Der Ernstfall", das auch im Mittelpunkt der Aktion steht, drehte sich das Gespräch ausschließlich um Wellershoffs Erinnerungen an die Vorkriegszeit in Grevenbroich, wo er aufwuchs, und an die Erlebnisse als Soldat vor allem in Berlin. Er beschönigt und entschuldigt nichts. Aber er beschreibt und reflektiert die Mechanismen des Krieges und weiß: "Ich habe zufällig überlebt."

Warum der damals 19-Jährige sich freiwillig gemeldet hat, erklärte er mit einer Geschichte. Als Schüler in Grevenbroich war er zusammen mit seinem Freund Franz auserkoren worden, einen Kranz am Grab eines Lehrers, der gefallen war, abzulegen. Vom militaristischen Gepränge waren beide Jungen völlig fasziniert, aber Franz war es, der sagte: "Hoffentlich dauert der Krieg so lange, dass wir auch Soldaten werden können." Das, so sagte Wellershoff und beugte sich vor, "hätte auch ich sagen können."

Derselbe Franz reagierte später nach einer Kopfschussverletzung mit einem anderen Satz, den Wellershoff als typisch für seine Generation sieht: "Ach so ist das" sei Franz' einziger Gedanke bei der Verwundung gewesen. "Wir sind eine ganze Ach-so-ist-das-Generation", konstatierte der Noch-84-jährige nüchtern.

(NGZ)
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