Neuss Jeder Sechste wählt vorab

Neuss · Die Zahl der "Sonntagswähler" sinkt, die derjenigen, die vorab ihre Kreuzchen machen, steigt dagegen. Die Gründe sind vielfältig: Frühe Wahlentscheidung, Urlaub, Arbeit oder der schlicht Wunsch, den Sonntag ganz frei zu haben.

 Bärbel Kohler wählt seit 30 Jahren per Brief – bis auf ein einziges Mal Ende der 90er.

Bärbel Kohler wählt seit 30 Jahren per Brief – bis auf ein einziges Mal Ende der 90er.

Foto: Lothar Berns

Bärbel Kohler bezeichnet sich als "leidenschaftliche Briefwählerin". In den vergangenen fast 30 Jahren, in denen die gebürtige Cottbusserin in Neuss lebt, hat sie ein einziges Mal am Wahltermin ihr Kreuzchen in der Kabine gemacht. Ansonsten tut die 53-Jährige das am heimischen Schreibtisch, vorab per Briefwahl.

Denn am Wahlsonntag hat Bärbel Kohler selbst genug zu tun. Sie hilft beim Auszählen der Stimmen. Seit Jahrzehnten ist Kohler Wahlhelferin — diesmal sogar stellvertretende Schriftführerin — und Briefwählerin. Bärbel Kohler ist mit ihrer Entscheidung, ihre zwei Kreuzchen schon vorab zu machen, längst keine Ausnahme mehr. In Neuss nimmt die Zahl der Briefwähler zu. "Auch ohne die abschließenden Zahlen für diese Wahl ist der Trend seit Jahren zu beobachten", sagt Stadtsprecher Sascha Severin.

Allein am vergangenen Samstag, einem der stärksten "Vorab-Wahltage" überhaupt — waren 133 Neusser ins Wahlamt gekommen, um per Briefwahl ihre Stimme abzugeben. Denn Briefwahl heißt nicht unbedingt, dass der Wahlzettel auch per Brief zurückgesendet werden muss. Darunter fallen auch all jene, die persönlich vor der Wahl im Wahlamt im Rathaus vorbeikommen und ihre Stimme vor Ort abgeben. Insgesamt haben bis jetzt schon fast 16 000 Stimmberechtigte in Neuss per Briefwahl gewählt, bei den Landtagswahlen 2010 waren es insgesamt 18 298. Das ist mehr als ein Sechstel der etwa 110 000 Wahlberechtigten.

Bärbel Kohler hat diese Tendenz auch in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis beobachtet. Oftmals gibt es nicht so einen triftigen Grund für die Briefwahl, wie sie ihn hat. "Den Sonntag wollen viele doch für sich haben", erzählt sie. Oft gingen die Leute auf Nummer sicher nach dem Motto "Ich weiß ja nicht, was an dem Tag vielleicht los ist", wollten aber dennoch auf jeden Fall ihrer Bürgerpflicht nachkommen.

Kohler glaubt, dass besonders diejenigen sich für Briefwahl entscheiden, die sich früh sicher sind, was sie wählen wollen. "Das sind Leute, die den Wahlkampf nicht mehr bis zur letzten Sekunde beobachten müssen", glaubt sie. Die Zahl der Sonntagswähler sinkt dagegen zwangsläufig. So ein "Sonntagswähler", ist etwa Stadtsprecher Sascha Severin, für den das Wählen zum demokratischen Ritual geworden ist und das er gemeinsam mit Frau und Kindern in die Sonntagsplanung aufnimmt.

Kohler findet es gut, dass es für die Briefwahl keinen strengen Beschränkungen gibt, man etwa einen Krankenschein oder einen Beleg vorlegen muss, dass am Wahlsonntag gearbeitet werden muss. "Die Briefwahl ist ein legitimes Mittel der Wahl. Und die Hauptsache ist doch, dass überhaupt gewählt wird", sagt Kohler.

(NGZ/rl)
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