Irish Travellers in der Region Die Angst vor dem "Zigeuner"

Düsseldorf · Im Rheinland hat in den vergangenen Tagen eine herumziehende Gruppe von irischen Landfahrern für Unruhe gesorgt. Zu Schulden kommen lassen haben sich die Irish Travellers kaum etwas. Doch die Vorurteile gegen sie sitzen tief. Warum?

Irische Landfahrer ziehen im Sommer 2017 durch Kevelaer, Neuss und Düsseldorf
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Irish Travellers ziehen im Sommer 2017 durch die Region

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Foto: gerhard berger

Mit Ressentiments kennt sich das sogenannte fahrende Volk aus. "Nehmt die Wäsche vom Hof, die Komödianten kommen", hieß es schon im 18. Jahrhundert, wenn Schausteller von Marktplatz zu Marktplatz zogen.

Wer ewig auf Wanderschaft ist, kein Zuhause besitzt, der sieht wenig Sinn darin, sich an die Regeln derjenigen zu halten, die Wurzeln geschlagen haben, so der landläufige Glaube. Herumreisenden würde es leichter fallen, zu stehlen, zu betrügen und zu verführen. Sind sie doch am Tag darauf auf und davon. Die Zeiten haben sich gewandelt, die Vorurteile kaum. Heute sind es nicht mehr die Komödianten, dafür aber Gruppen wie die Jenische, Sinti, Roma oder Pavee, die als Zigeuner stigmatisiert und diskriminiert werden. Zu tief sitzt die Angst vor dem Fremden und Anarchischen.

Zu spüren bekommt das gerade wieder die ethnisch-soziale Gruppe der Pavee, auch abwertend "Tinker" genannt. Sie selbst nennen sich Traveller, also Reisende, wegen des irisch-keltischen Ursprungs gerne mit einem Irish davor. Der Begriff Tinker geht auf das englische "tin" für Zinn zurück; die Pavee sind Wanderhandwerker, die früher billiges Küchengeschirr reparierten. Sie streben nach sozialer Autonomie und pflegen eine eigene Sprache, eine eigene Kultur und ein eigenes Wertesystem.

Zu Gast bei Irish Travellers in den Rheinwiesen in Düsseldorf
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Zu Gast bei Irish Travellers in den Rheinwiesen

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Foto: Hans-Juergen Bauer

Rund 30.000 Pavee leben in Irland, lehnen aber staatliche Eingriffe ab, wohnen in Wohnwagen und Baracken meist am Rand der Städte. Alljährlich ziehen die streng gläubigen Katholiken mit ihren Campern durch Europa, werden auf den meisten Plätzen aber - auch weil sie oft gegen Hoheitsrechte verstoßen - schnell vertrieben.

Sie kommen oft über Nacht

Die Furcht der Menschen vor der plötzlichen Schwarmbildung - oft kommen die Landfahrer über Nacht - sieht Susanne Altweger als einen Grund für deren Ablehnung. Die Düsseldorfer Psychologin hat zufällig gerade selbst in Grenoble ein Lager französischer Landfahrer besucht und fand dort gängige Vorurteile nicht bestätigt. Alles habe sauber gewirkt und gar relativen Wohlstand ausgestrahlt. "Dennoch neigen die Menschen dazu, zwischen ,wir' und ,die' zu trennen", sagt Altweger. "Das ist leider nicht ausrottbar."

Sozialwissenschaftler sprechen dabei von "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" und sehen den Antiziganismus - also gegen "Zigeuner" gerichtete Ressentiments - in einer Linie mit Rassismus, Antisemitismus und Homophobie. Es geht um diffuse Feindbilder, aber auch um Projektionsflächen für eigene Ängste, Unzufriedenheiten und unerfüllte Wünsche.

So sagten bei einer Langzeitstudie der Universität Bielefeld 44 Prozent der Befragten, Sinti und Roma neigten zu Kriminalität, 40 Prozent wollen nicht in der Nachbarschaft von Sinti und Roma wohnen. 25 Prozent wünschen sich, dass Sinti und Roma aus Innenstädten verbannt würden.

Auch europaweit ist die Ablehnung stark. In der Studie artikulieren sich gängige Vorurteile: "Zigeuner" stehlen, sie unterwerfen sich nicht einem allgemeinen Regelkodex, sie besitzen keine fest verwurzelte Identität und können damit auch kein guter Nachbar sein.

Tatsächlich ist die Abweichung von der Norm das zentrale Element, das den Antiziganismus befeuert. In seiner grausamen Zuspitzung hat dies im Nationalsozialismus zu Verfolgung und Ermordung von 500.000 Sinti und Roma geführt.

Selbst 1956 urteilte der Bundesgerichtshof noch: "Da die Zigeuner sich in weitem Maße einer Sesshaftmachung widersetzt haben, gelten sie als asozial. Sie neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist."

Auch wenn sich die BGH-Präsidentin 2015 offiziell für dieses Urteil entschuldigte, zeigt es doch eine lang vorherrschende Geisteshaltung. Die besagt: Wer als Nomade lebt, kann keine Wurzeln schlagen und keine Identität bilden. Wer nicht arbeitet, hat kein Recht, auf Kosten anderer zu leben. Wer sich nicht bildet, kann nicht zum Gemeinwohl beitragen. Dabei wird der Sinto, Rom oder Pavee nie als Individuum betrachtet, sondern als Gruppenwesen, dessen Verhalten von der Zugehörigkeit zur Gruppe bestimmt wird.

Es ist dieser Gegenentwurf zur bürgerlichen Gesellschaft, der die Menschen beunruhigt. Andauernde Diskriminierung aber führt zu Ausgrenzung, zu Armut und Überlebensmechanismen, dem Elend zu entkommen - etwa Betteln. Aber auch Kriminalität. Ein Teufelskreis. Eine Studie des Instituts für Soziologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg hat ergeben, dass es viele erfolgreiche Bildungskarrieren von Sinti und Roma gibt, diese Menschen sich aber nicht als Angehörige einer Minderheit zu erkennen geben - aus Angst vor Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung. Sie bleiben unsichtbar.

"Mobile ethnische Minderheit"

Wissenschaftler kritisieren, dass auch Ersatzbegriffe für "Zigeuner" wie "Landfahrer" oder "mobile ethnische Minderheit" Stereotypen bedienen und damit antiziganistische Inhalte transportieren. Genauso wie klischeehafte Fotos von Lagerromantik. Selbst positive Umschreibungen des "Zigeuner"-Lebens manifestieren das Abweichende, das Anderssein. "Positive Stigmatisierungen sind daher keine Lösung, sondern eine Wiederholung des Problems unter umgekehrten Vorzeichen", schreibt Markus End in seiner Studie "Antiziganismus in der deutschen Öffentlichkeit".

Doch was ist die Lösung?

Zum Beispiel jeden Sinto, Rom oder Pavee so zu nehmen, wie er ist. Als Mensch mit Stärken, Schwächen, Wünschen, Hoffnungen. Der eine ist gut, ein anderer schlecht - wie überall. Der eine fühlt sich seiner Gruppe mehr, der andere weniger verpflichtet, der eine ist Traditionalist, der andere Reformer. Das ist bei Katholiken oder Grünen nicht anders. "Zigeuner" gibt es nicht.

In Irland sind die Traveller erst seit März politisch anerkannt. Lesen Sie hier ein Interview dazu mit Nigel Clarke, Chargé der irischen Botschaft in Berlin.

Unsere Autorin hat die irischen Landfahrer auf den Düsseldorfer Rheinwiesen besucht und mit ihnen einen Tee getrunken. Ihren Bericht lesen Sie hier.

In Iserlohn sind einigeTravellers am Donnerstag mit der Polizei in Konflikt geraten. Mehr dazu lesen Sie hier.

(RP)
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