Neusser erzählen Das sind unsere liebsten Kinderbücher

Neuss · Die einen mochten gerne Abenteuerromane, andere liebten die Idylle in Astrid Lindgrens Bücher. Zum internationalen Kinderbuchtag erzählen einige Neusser von ihren Leseerfahrungen

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Neusser erzählen von ihren liebsten Kinderbüchern

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Heute ist der internationale Kinderbuchtag. Seit 1967 wird er zu Ehren von Hans Christian Andersen, der am 2. April 1805 geboren wurde, gefeiert. Wir haben Erwachsene aus Neuss gefragt, was sie als Kinder gelesen haben.

Sylvia Mußmann gibt als Lesementorin die Begeisterung fürs Buch weiter

Als Kind hat sie mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelegen und ein Buch nach dem anderen verschlungen. „Ich mochte besonders gerne Abenteuergeschichten“, erzählt Sylvia Mußmann und fügt hinzu: „Vor allem Karl May. Wer wollte nicht wie Nscho-tschi sein?“

Ihre Begeisterung fürs Lesen möchte die 66-Jährige gerne weitergeben: Seit 2012 ist sie Lesementorin in Neuss. Einmal in der Woche trifft sie sich mit einem Schüler, liest mit ihm, beantwortet Fragen und hört ihm zu. All das ist Teil der Initiative „LeseMentor“ der Werhahn Stiftung in Kooperation mit der Stadt Neuss, der VHS und der Stadtbibliothek. Entstanden ist das Projekt als Reaktion auf die schlechten Pisa-Ergebnisse, die Schülern Defizite in der Lese-Schreib- und Sprachkompetenz bescheinigten. „Mir liegt die Bildung der Kinder am Herzen“, sagt Sylvia Mußmann. „Kinder lernen während sie lesen, ohne dass sie es merken. Sie lernen viele Facetten des Lebens kennen. Das macht sie tolerant.“ Als Arbeit empfindet sie ihre Aufgabe nicht. „Ich bekomme viel zurück, ich sehe, wie die Kinder reifen und selbstbewusster werden.“ An ein Erfolgserlebnis erinnert sich die 66-Jährige gerne. Immer wieder hat sie sich mit einem Mädchen zum Lesen getroffen. Anfangs hat die Schülerin nicht gerne gelesen, fand, dass es zu lange dauerte. „Wir haben dann gebastelt und uns erst einmal dünne Bücher vorgenommen.“ Eines Tages sei jene Schülerin zu ihr gekommen und habe erzählt, dass sie sich jetzt ein Buch gekauft habe. Sie hatte es schon zur Hälfte gelesen.

So selbstverständlich wie Mußmann sich in ihrer Kindheit auf Bücher stürzte, ist es mittlerweile nicht mehr. „Es fehlt Eltern und Kindern an Zeit“, sagt die Mentorin immer wieder. „Dabei gibt es unheimlich tolle Bücher.“ Besonders gut komme aber etwa das lustige Buch „Das Schwein kam mit der Post“ an.

Stefanie Kirschbaum war fasziniert von der Idylle

Wenn sich ihre beiden Geschwister gestritten haben, hat Stefanie Kirschbaum ein Buch genommen und angefangen zu lesen. „Ich konnte mich schon immer in Büchern zurückziehen“, erzählt die 51- Jährige. Eines ihrer Lieblingsbücher war dabei „Wir Kinder aus Bullerbü.“ Mehrfach hat sie es gelesen, war fasziniert von der Idylle, mochte die Abenteuer, die die Kinder gemeinsam erleben. „Ich wollte immer wie sie auf dem Land wohnen, am liebsten auf einem Bauernhof“, erzählt sie und lacht.

Stefanie Kirschbaum hat Psychologie studiert, sie arbeitet als Coach für Unternehmen und hat selbst schon zwei Kinderbücher veröffentlicht – „Wie Betty für Gerechtigkeit sorgt“ und „Wie Betty das Wut-Gewitter bändigt“. Darin geht es um große Gefühle. Sie werden Kindern nicht ausgeredet, vielmehr bekommen sie Tipps, wie sie mit starken Emotionen umgehen können. All das vor dem Hintergrund der Hochsensibilität. Es sind Bücher, die sie früher selbst gesucht, aber nirgendwo gefunden hat. Ein drittes Buch veröffentlicht sie in diesem Jahr.

Stefanie Kirschbaum erzählt, dass Kinderbücher auch therapeutisch eingesetzt werden. Lange bevor etwa der „Grüffelo“ zu einem Bestseller wurde, hat man die Geschichte genutzt, um Kinder zu ermutigen. Dass das Buch ein sehr intensives Medium ist, steht für die Psychologin außer Frage: „Kinder lassen eigene Bilder entstehen, sie bestimmen zum Beispiel selbst, wie gruselig ein Monster ist und schaffen so ihre eigene Realität.“ Auch das Tempo können die Kinder beim Lesen selbst vorgeben – mitunter begleiten sie die Figuren länger, als in einem Film. „Toll am Lesen ist, dass sich die Kinder mit den Hauptfiguren identifizieren können. Das gibt ihnen viel für den Alltag. In manchen Situationen werden sie sich an ein Buch erinnern und denken ,ich bin nicht allein, der Held in der Geschichte hatte das gleiche Problem und konnte es lösen.’“

Auch Stefanie Kirschbaum hat so ein Vorbild aus der Kinderliteratur: „Momo“ von Michael Ende. „Dadurch habe ich gelernt, Zeit wertzuschätzen, mich auf das Jetzt zu konzentrieren. Das gibt mir bis heute Gelassenheit.“

Ein Kinderbuch weckte bei Claudia Büchel das Fernweh

Als Claudia Büchel über den Äquator gereist ist, musste sie an ein Buch aus ihrer Kindheit denken.

„Weltreise in der Johannisnacht“, so der Titel, ist ein Roman von Richard Katz. Zwei Kinder erkunden darin die Kontinente. „Das Buch hat in mir Fernweh ausgelöst, mich neugierig auf andere Menschen und Länder gemacht“, erzählt sie. Eine Sehnsucht, die bleiben sollte. Heute reist Claudia Büchel gerne.

Den Roman hat sie zwar nicht weggeworfen, aber gelesen hat sie ihn nie mehr. „Ich wage es nicht“, sagt sie, „ich habe Angst, dass sich nun andere Eindrücke überlagern würden.“ Ist es, weil manche Ereignisse durch den Blick eines Erwachsenen ihren Reiz verlieren? Büchel überlegt einen Moment. „Oft ist es bei alten Kinderbüchern so, dass sie heute nicht mehr gesellschaftsfähig sind.“ Zum Beispiel, weil sie ein veraltetes Rollenbild propagieren, politisch gefärbt sind oder rassistische Elemente haben. Teilweise werden sie dann von Verlagen überarbeitet.

Auch wenn sich die Zeiten geändert haben, hält sie Lesen für Kinder nach wie vor wertvoll. „In Büchern können Kinder Abenteuer erleben, ihnen öffnen sich verschlossene Welten.

Das soll aber nicht heißen, dass andere Medien schlechter sind. Wir erleben im Moment, dass Tonies stark nachgefragt werden.“ Das sind kleine Figuren, die aufgesetzt auf eine Lautsprecherbox, Hörspiele wiedergeben. „Darunter sind auch Kinderbuchklassiker.“

Für Tablets gebe es wunderschön gestaltete Bilderbuch-Apps und eine gute Literaturverfilmung könne ebenso zu Tränen rühren wie ein Roman. „Kinder sind oft erstaunt, wenn sie hören, dass der Ursprung ein Buch war.“ Aber hinter all dem stehe der Zauber des geschriebenen Wortes.

Regina Lewejohann verkauft Lektüre für Kinder

Tag für Tag kann es Regina Lewejohann in ihrem Laden beobachten: Ein Kinderbuch richtet sich nicht nur an Kinder, sondern auch an Eltern, Lehrer und Großeltern. Denn sie sind es, die den Nachwuchs mit Lektüre versorgen.

Gemeinsam mit ihrem Mann leitet Regina Lewejohann die Buchhandlung an der Neustraße. „Die Großeltern greifen meistens zu den Klassikern von Kästner, Lindgren oder Preußler“, erzählt sie. Kinder werden eher von den farbenfrohen Büchern angezogen. Die 59-Jährige zeigt auf eine Regalreihe mit bunten Einbänden. Dinosaurier schauen frech von einem Deckblatt, ein anderes Buch hat die Form eines Baggers. Die Buchhändlerin nimmt ein weiteres Buch aus dem Regal. „Bitte nicht öffnen bissig“ ist darauf zu lesen. „Das macht die Kinder natürlich neugierig.“ So als seien sie mittendrin in der Geschichte.

In dem Buchladen möchte das Paar eine besondere Auswahl bieten – nicht unbedingt das, was auf der Bestseller-Liste steht, „das findet man überall“ – sondern „ausgefallene Titel.“ Zwei große Kinderbuchphänomene konnte sie im Laufe der Jahre beobachten: Erst waren es die Harry Potter Bände, die junge Menschen ans Lesen führten, nun lockt Gregs Tagebuch auch „Wenig-Leser“ vor das Papier.

 (Symbolfoto)

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Foto: dpa/Jens Kalaene

Regina Lewejohann selbst hat als Kind viel gelesen, am liebsten Abenteuerbücher wie „Die drei Fragezeichen“ und „Fünf Freunde“, aber auch Märchen- und Sagenbücher. „Damals war die Auswahl für Kinder längst nicht so groß wie heute“, erzählt sie. Gleichwohl stellt sie fest, dass sich immer weniger junge Menschen für das Buch interessieren. „Kinder sind im Dauerstress, sie haben gar keine Zeit mehr, sich in eine Ecke oder aufs Bett zu setzen und zu schmökern.“

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