Serie Inklusion in Neuss Anderssein ist für Kinder normal

NEUSS · Im Familienzentrum der Lebenshilfe Am Baldhof lernen Kinder mit und ohne Behinderung viel voneinander.

 Fröhliche Jungens im Familienzentrum der Lebenshilfe Am Baldhof. In der Kita werden 53 Mädchen und Jungen in drei Gruppen betreut – zehn von ihnen haben eine Behinderung oder besonderen Förderbedarf.

Fröhliche Jungens im Familienzentrum der Lebenshilfe Am Baldhof. In der Kita werden 53 Mädchen und Jungen in drei Gruppen betreut – zehn von ihnen haben eine Behinderung oder besonderen Förderbedarf.

Foto: Gabriele Weber

Er war dreieinhalb und konnte weder laufen noch sprechen. Ahmed (Name von der Redaktion geändert) hat das Down-Syndrom. Seit einem Jahr besucht er die Kita im Familienzentrum der Lebenshilfe Am Baldhof. Dass der mittlerweile Viereinhalbjährige heute auf der Wiese herumläuft, beim Fußballspielen im Tor steht und seinen Mitspielern Anweisungen gibt, ist eine ganz besondere Erfolgsstory. Möglich gemacht haben sie die Erzieherinnen und Therapeuten der Einrichtung. Aber auch und vor allem die anderen Mädchen und Jungen. „Die Kinder lieben ihn. Sie haben ihn immer wieder ermutigt und viel mit ihm trainiert“, berichtet Gabriele Weber, die Leiterin des Familienzentrums. „Inzwischen beginnt er zu sprechen, ist selbstbewusster geworden und in der Lage, seine Gefühle auszudrücken“, ergänzt Petra Dietrich-Voßen, die als Therapie-Koordinatorin in den Kitas der Lebenshilfe tätig ist.

Keine Frage: Für den kleinen Ahmed ist der Besuch der integrativen Kita gemeinsam mit Kindern ohne Behinderung ein Glücksfall, hat er seinem Leben doch eine entscheidende Wendung gegeben. Für die Eltern, die sich um zwei weitere Kinder zu kümmern haben, wäre die Förderung ihres Sohnes in diesem Maße kaum zu leisten gewesen. Aber auch die anderen Kinder „haben etwas davon“, mit Ahmed zusammen zu lernen. Davon sind Gabriele Weber und Petra Dietrich-Voßen überzeugt: „Sie entwickeln ein ausgeprägtes Sozialverhalten und eine starke Rücksichtnahme“, sagen sie. Optisch unterscheidet das 2010 errichtete Familienzentrum Am Baldhof – seit 1973 stand dort ein Kindergarten der Pfarrgemeinde Heilige Dreikönige – wenig von anderen Kitas. Während anderswo aber Gruppengrößen von 20 bis zu 25 Kindern die Norm sind, werden dort in drei Gruppen lediglich 53 Mädchen und Jungen betreut. Mehr geht nicht, denn zehn von ihnen haben eine Behinderung oder besonderen Förderbedarf: Autismus, Trisomie 21 (Down-Syndrom), ADHS, eine Entwicklungsverzögerung.

Das Familienzentrum verfügt über Hilfen wie Logopädie, Ergo- und Physiotherapie, Heilpädagogen und Autismustherapeuten – Petra Dietrich-Voßen kann bei ihrer Arbeit auf fachliche Unterstützung zurückgreifen. „Wir kooperieren außerdem mit vielen Praxen vor Ort“, ergänzt sie. Alle drei Monate gibt es einen Austausch über den Therapieverlauf jedes Kindes, werden Ziele festgelegt, finden Elterngespräche statt. Denn auch deren Begleitung ist von entscheidender Bedeutung.

Und wie beantworten die Erzieherinnen den Kindern ihre vielen Fragen? „Oft genügt der Hinweis, dass das betreffende Kind eben so auf die Welt gekommen ist, und dass es manchmal so ist, dass jemand etwas nicht oder nur schwer lernen kann“, sagt Petra Dietrich-Voßen. „Es ist normal, verschieden zu sein.“ Das Anderssein, die Individualität jedes Einzelnen wird für Kinder so zu einer völligen Selbstverständlichkeit.

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