Neuss In stetem Wechsel

Neuss · Dass es schwierig werden würde, als erwachsener Darsteller aus kindlicher Perspektive über den Tod zu monologisieren, ohne kitschig zu werden, war bereits vor den ersten Zeilen von Tino Manolias' Stück "Die Fensterbank" klar.

 Aus zwei Perspektiven beschäftigte sich Tino Manolias mit dem Tod — in der Rolle eines Kindes und eines Erwachsenen.

Aus zwei Perspektiven beschäftigte sich Tino Manolias mit dem Tod — in der Rolle eines Kindes und eines Erwachsenen.

Foto: privat

Es stand gar zu befürchten, der noch eher unbekannte Manolias könnte sich bei der Premiere im Neusser Kulturkeller gewaltig verheben. Letztlich muss es also als positive Überraschung gewertet werden, dass "Die Fensterbank" durchaus bemerkenswerte Blickwinkel bot, die den Kitsch erträglicher machten.

Schon das Bühnenbild war für Kulturkeller-Verhältnisse geradezu opulent ausgefallen. Eine Schultüte, ein Schränkchen mit Briefpapier, Bonbongläser, ein Blumengebinde und das nominative Fenster samt Bank — die zentralen Motive des Stückes waren sorgfältig und möglichst plakativ in die Szenerie des Kinderzimmer platziert worden.

Viel Phantasie und Abstraktionsvermögen waren also nicht gefordert, um sich in Manolias Welt orientieren zu finden. In geradezu vorbildhafter Schlichtheit entwarf Manolias die Geschichte des fünfjährigen Felix. Von Vater und ältestem Bruder schlichtweg ignoriert, klammert sich der Junge an den Halt, den ihn der todkranke Bruder, die rüstige Großmutter und vor allem die liebende Mutter geben.

Gut und Böse sind klar verteilt — kindliches Schwarz-Weiß-Denken —, ein Himbeerbonbon kann die Welt bedeuten. So ist zumindest Manolias Lesart der kindlichen Vorstellungswelt, die bei ihm irgendwo zwischen "einem wunderschönen Kaleidoskop der Farben" (Felix' Beschreibung des Abendhimmels) und der wundersamen Reise des Bruders in den Himmel in eine gewaltige Schieflage gerät.

Der stete Wechsel zwischen infantiler Naivität und erwachsener Reflexion war zwar gut gedacht, doch fehlte Akzentuierung in Bühnenbild und Kostüm. So ging letztlich die Glaubwürdigkeit der Figur verloren, die — warum auch immer — für die letzten Zeilen in einer weißen Toga auf die Bühne kam.

Welches Potenzial dem gewählten Konstrukt der gespielten Retrospektive innewohnte, wurde in der gelungen Schilderung der kindlichen Sicht auf die Beerdigung des Bruders deutlich. Weil Manolias in diesem Moment auf Kitsch und Binsenweisheiten verzichtete und dafür einem Jungen Gehör verlieh, dem die Rituale einer Trauerzeremonie angesichts des persönlichen Verlustes ziemlich deplatziert vorkommen, lieferte Manolias immerhin eine gesellschaftspolitische Kritik am inszenierten Tod.

Info Nächster Termin: Oberstraße 17, Samstag, 3. Oktober, 20 Uhr

(RP)
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