Neuss In Neuss gelernt, dass alles möglich ist

Neuss · Bettina Jahnke kann die Tage schon zählen, bis sie Neuss ganz in Richtung Potsdam verlässt. Als Regisseurin hat die scheidende Intendantin von 2008/09 bis heute 16 Inszenierungen am RLT verantwortet. Eine Bilanz.

Acht Jahre stand Bettina Jahnke als Intendantin an der Spitze des RLT. Nun geht diese Zeit zu Ende, schon in den vergangenen Wochen ist sie zwischen ihrem neuen Wirkungsort Potsdam, wo sie ab herbst als Chefin das Hans-Otto-Theater übernimmt, und Neuss, wo sie noch die Bühne leitet, hin und hergependelt. Viel Zeit zwischen der Begleitung der aktuellen RLT-Produktionen und der Gestaltung des neuen Spielplans in Potsdam bleibt da nicht. Neue Schauspieler müssen dort auch verpflichtet werden, überhaupt muss sich Jahnke in der Landeshauptstadt Brandenburgs positionieren - wozu auch zahlreiche Gespräche mit Politikern und anderen Entscheidungsträgern gehören. Gleichwohl ist auch mal Innehalten angesagt - und diesen Moment nutzt die 52-Jährige, um Bilanz zu ziehen und auf die Besonderheiten ihrer Neusser Jahre zu blicken. Helga Bittner hat Sätze formuliert, die Bettina Jahnke fortsetzt.

Ihre schönste Erinnerung ist ...

... der Anfang meiner Intendanz. Die Art, wie ich begrüßt wurde, die Standing Ovations bei meiner ersten Inszenierung "Wie im Himmel" . Ich zeige gerade der neuen RLT-Intendantin Caroline Stolz das Haus und muss deswegen oft an meinen eigenen Start denken. Der Anfang ist immer das schwerste, aber die Offenheit des Publikums, der Stadt, hat es mir leicht gemacht, auch als weitere Einstiegsinszenierung den "Törleß" unter der Regie von Mark Lunghuß anzubieten. Und dass wir "Wie im Himmel" drei Jahre lang vor immer vollem Haus gespielt haben, ist ein toller Erfolg.

Ihre schlimmste Erinnerung in Neuss ist ...

... der Abstecher mit "Der nackte Wahnsinn" in Geldern. Der war schlecht vorbereitet, so dass das Bühnenbild mit den zwei Etagen gar nicht dort auf die Bühne passte und die Laufwege nicht mehr stimmten. Die Schauspieler mussten enorm improvisieren und hatten nach der Pause den Saal leergespielt: zu Recht. Horror für das RLT und Herrn Niersmann, den Veranstalter. Seitdem gehört es in den Endproben dazu, die kleinste (und damit schwierigste) Abstechervariante hier aufzubauen und einmal mit allen Abteilungen die Abläufe in Ruhe einzuüben. Vorher wurde das erst unmittelbar vor der Aufführung an dem Gastspieleort getan, und da jeder Abstecher anders ist, ist jedes Gastspiel eine Herausforderung.

Eine zweite ist die an unsere einzige Silvesterpremiere mit "Die Ratte". Wir dachten, wir würden dem Publikum damit ein Geschenk machen und haben nicht damit gerechnet, dass die Leute, die Silvester ins Theater gehen, was anderes wollen - nämlich schnell nach der Vorstellung zum Feiern ins Foyer. Der Beifall ist so kurz ausgefallen, dass der Regisseur sich vor fast leeren Rängen verbeugt hat. Heute ist das eine nette Geschichte, aber damals waren wir doch sehr geschockt.

Sie gehen mit einem lachenden Auge, weil ...

... ich viel erreicht habe. Das Haus ist sehr gut aufgestellt, es gibt eine richtige Arbeitsstruktur - vom ersten Konzeptionsgespräch bis zur Premiere. Dazu gehörte auch die Neubesetzung von Abteilungsleitungen. Der Laden läuft, auf meine Mitarbeiter kann ich mich verlassen. Ein wirklich tolles Team!

Sie gehen mit einem weinenden Auge, weil...

... ich so viel Herzblut vergossen habe. Ich verlasse das Haus ausgerechnet jetzt, wo alles so toll läuft. Aber das macht mich auch ein bisschen stolz.

Ihr größter Flop war ...

... wäre, müsste es heißen, denn der größte Flop wäre für mich gewesen, wenn wir das Theatercafé Diva nicht bekommen hätten. Da bin ich besonders Verwaltungsdirektor Dirk Gondesen, dem damaligen Trägervereinsvorsitzenden Bertold Reinartz und dem damaligen Kulturausschussvorsitzenden Hartmut Rohmer dankbar, wir haben alle an einem Strang gezogen.

Sie freuen sich, weil Sie erreicht haben, dass ...

... es das Theatercafé Diva gibt und ich mit Rot die richtige Theaterfarbe gewählt habe. Sie ist heute ein Markenzeichen des Rheinischen Landestheaters.

Ihre schwerste Entscheidung war ...

... die Absage der Aufführung von "Noch ist Polen nicht verloren". So was macht kein Intendant gern, und ich habe daraus gelernt, früher in die Proben zu gehen, um zu sehen, wohin der Weg der Inszenierung geht.

Sie hätten gern verbessert, dass...

... die Situation in der Probebühne an der Wolberostraße vor allem baulich zu einer besseren Arbeitssituation führt. Es gibt nur drei Garderoben, das Gebäude ist halt eine alte Fabrik, die eines Tages wohl zur Großbaustelle wird. Wir haben zwar schon Pläne gemacht, auch in Sachen Brandschutz was getan und neue Türen eingebaut, aber noch nicht viel umsetzen können. Das ist sicherlich eine Aufgabe für die Zukunft.

Eine besondere Bindung haben Sie an ...

... meine Wohnung an der Drususallee und auch an den Rhein. Dort sind wir mit unserem Hund viel spazierengegangen. Meine Wohnung mitten in Neuss habe ich geliebt.

Aus Neuss nehmen Sie nach Potsdam mit, dass ...

... alles möglich ist. Das Publikum hat sicherlich viel mit uns mitgemacht, aber ist uns auch immer gefolgt. Ich habe gelernt, dass man auch an kleineren Theatern sehr viel erreichen kann, weil sie viel wendiger sind als so große Schlachtschiffe wie Staatstheater. Wenn ich jetzt in Potsdam das größere Hans-Otto-Theater übernehme, ist das wie ein zweites Kind: Die Erfahrungen, die ich mit meinem ersten, dem RLT gemacht habe, kommen so nie wieder, aber sie werden mir sehr helfen.

(NGZ)
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