Interview mit Harry Walter "In den 70ern war ich für viele fast ein Guru"

Neuss · In der Neusser "Hafenliebe" sprach Wahlkampfberater Harry Walter auf dem blauen NGZ-Sofa über seine Erfolge in der Politik.

 Harry Walter im Gespräch mit NGZ-Redaktionsleiter Ludger Baten beim blauen NGZ-Sofa, das von der Brauerei Frankenheim präsentiert wird.

Harry Walter im Gespräch mit NGZ-Redaktionsleiter Ludger Baten beim blauen NGZ-Sofa, das von der Brauerei Frankenheim präsentiert wird.

Foto: l. hammer

Neuss Ein kurzweiliges Interview erlebten die Gäste beim blauen NGZ-Sofa mit Harry Walter. Der Norfer machte als Wahlkampfberater Willy Brandt zum Bundeskanzler. Im Gespräch mit NGZ-Redaktionsleiter Ludger Baten gab der 84-Jährige einige Anekdoten preis.

Herr Walter, Sie wechselten aus der Werbung in die Politikberatung. Wie kam es dazu?

Harry Walter Ich schrieb meine Abschlussarbeit im Studium über Wahlkämpfe und habe mich damals über die Kampagne der SPD geärgert. Im Jahr 1966 saß ich am Flughafen neben Herbert Wehner (damals Bundesminister, später SPD-Fraktionschef im Bundestag, Anm.d.Red.) und fasste den Mut zu fragen, warum die SPD so einen schlechten Wahlkampf mache. Zuerst war er wütend, dann lud er mich aber ein, darüber zu sprechen, wie man Wahlkampf machen sollte.

So einfach geht das?

Walter Es gab dann eine Präsidiumssitzung mit vielen Präsentationsmappen der Agenturen. Ich reichte nur zwei Seiten ein: auf der ersten stellte ich meine Person vor, auf der zweiten schrieb ich, dass ich einige Fragen an die SPD hätte, bevor ich für sie Wahlkampf machen könnte.

Die Präsidiumsmitglieder saßen dann vor rund 30 Mappen und irgendwann wählte Wehner die Nummer sieben — meine Mappe. Und niemand traute sich, Wehner zu widersprechen.

Haben die Politiker immer das angenommen, was Sie ihnen vorlegten?

Walter Ich hatte viel Glück, denn ich gewann mit Willy Brandt 1969 und 1972 die Wahl, dazwischen auch in Österreich für Bundeskanzler Bruno Kreisky, da besaß ich schon fast den Ruf eines Gurus, der alles weiß. Heute kommen die Berater an die Politiker gar nicht mehr so nah dran wie damals, spätestens im Vorzimmer müssen sie ihre Entwürfe abgeben und dann entscheiden ein paar ambitionierte Personen aus dem Umfeld des Kandidaten.

Lautete das Motto Ihrer Arbeit "Der Weg ist das Ziel" oder gab es für Sie auch Grenzen?

Walter Richtig, der Weg ist das Ziel. Ich stellte immer die Frage, wie man Mehrheiten schafft, die Abgrenzung zu den anderen Parteien findet und die eigenen Wähler mobilisiert.

Mit wem haben Sie am liebsten zusammengearbeitet?

Walter Mit Willy Brandt natürlich, aber am engsten habe ich mit Johannes Rau zusammengearbeitet. Von ihm habe ich auch viel gelernt. Er schätzte an mir, dass ich kein bequemer Gesprächspartner war, denn Beratung heißt nicht, sich die eigene Meinung bestätigen zu lassen.

Gab es schwierige Kandidaten?

Walter Der frühere niedersächsische Ministerpräsident Alfred Kubel war ein unangenehmer Mensch. Er mochte keinen und wollte vom Wahlkampf nichts hören. Seinen Nachteil machte ich zum Vorteil, ich stellte seine Ehrlichkeit in den Vordergrund mit dem Slogan: "Ich will von Ihnen keinen Applaus, ich will Ihnen die Wahrheit sagen"— und er gewann, wenn auch sehr knapp.

Sie haben auch im Ausland Wahlkampf gemacht. Wie kam es dazu?

Walter Meine Erfolge hatten sich herumgesprochen. Ich arbeitete als Berater auch im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, nicht für Wahlen, sondern für innerparteiliche Kommunikation. Mit den Aufträgen in Portugal, Peru oder Ecuador habe ich kein Geld verdient, aber viele Erfahrungen fürs Leben gesammelt.

Schauen wir zum Abschluss in die Gegenwart: Als sie 1995 aus dem aktiven Geschäft ausgestiegen sind, kam das Internet erst in Fahrt. Macht es heute Wahlplakate oder Fernsehspots überflüssig?

Walter Das Internet besitzt den materiellen Vorteil, schnell und billig Informationen zu verbreiten. Jetzt müssen wir aber unterscheiden zwischen der Botschaft beziehungsweise dem Inhalt und dem Medium. Bei den Inhalten ist das Internet genau wie das Plakat ein Medienträger.

Das Plakat kann aber auch viel Sympathie für die Kandidaten vermitteln. Für eine positive Emotion, die durch einen Wahlkampf entstehen soll, braucht man mehrere Kontakte zum Wähler wie zum Beispiel die Tageszeitung, das Fernsehen und das Plakat.

(NGZ/EW)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort