Neuss Im Rausch des Spiels

Neuss · Mit dem auf deutschen Bühnen wenig gespielten Drama "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" ist das RLT in die zweite Saison unter Intendantin Bettina Jahnke gestartet. Die Regie führt Andre Sebastian.

 Sie sind auf eine Revolution aus: Fiesco (André Felgenhauer, 3.v.l.) und seine Verschwörer.

Sie sind auf eine Revolution aus: Fiesco (André Felgenhauer, 3.v.l.) und seine Verschwörer.

Foto: Björn Hickmann

Es gibt sie. Diese wenigen Momente, in denen erkennbar ist, wer dieser Mann ist. Einer, der Gefühle hat. Vor allem: ein Mann, der liebt. Oder ist auch das nur ein So-tun-als-ob? Wie in all den anderen Szenen, in denen er zum Spiegel seines Gegenübers wird, sich dessen Erwartungen zu eigen macht und diese mit seinem Reden und Gehabe erfüllt?

Den Grafen von Lavagna ein Chamäleon zu nennen, wäre noch untertrieben. Denn er wechselt nicht nur die Farbe, sondern scheint in die Köpfe seiner Mitmenschen zu kriechen, ihre Gedanken zu denken und sie zu seinem Zwecke zu leiten. Und das Schlimmste: Er ist dabei nicht mal unsympathisch. Zumindest nicht in der Figur, die Regisseur Andre Sebastian aus Schillers "Fiesco" macht, und in der Darstellung, die André Felgenhauer von ihm gibt. Von dem "republikanischen Trauerspiel", wie Schiller sein Drama "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" untertitelt hat, ist in Sebastians Inszenierung für das RLT allerdings nur ein Gerüst geblieben. Gemeinsam mit Dramaturgin Barbara Noth hat er das Stück mächtig eingedampft, Schillers Sprache auf eine Weise verschlankt, dass sie allenfalls noch ein Zitat des Originals ist. In nur 145 Minuten reine Spielzeit jagt Sebastian die fünf Aufzüge — als solche kaum noch erkennbar — über die Bühne. Aber all das geschieht durchaus zum Wohle des Zuschauers. Er bekommt zwar einen recht reduzierten "Fiesco" geboten, dafür aber einen, der deutlich macht, warum dieses über 200 Jahre alte Drama, das zudem im Genua des 16. Jahrhunderts spielt, auch heute noch passt.

Frauen in Hosenrollen

Vordergründig spult der Regisseur die Geschichte ab, wie Schiller sie nach einer historischen Vorlage dramatisiert hat. Genua leidet unter der Herrschaft des alten Andreas Doria, aber unter seinem potenziellen Nachfolger, Neffe Gianettino Doria, droht die Tyrannei noch schlimmer zu werden. In dieser Situation schwingt sich Fiesco von Lavagna zum Retter auf, zieht sowohl revolutionäre Kräfte im Volk wie auch den Adel an, indem er jede Seite bedient. Der Umsturz scheint zu gelingen, zumindest Gianettino Doria wird getötet. Allerdings erkennt ein Mitstreiter Fiescos, dass dieser nicht weniger tyrannisch als die verhassten Dorias sein wird und tötet ihn.

Manch krude Wendung in diesem Stück bricht Sebastian im Spiel mit feiner Ironie. Aber die Idee der Revolution, die Verlockungen der Macht interessieren ihn nur am Rande. Ihm geht es um die Mechanismen der Manipulation. So macht der sehr präsente André Felgenhauer aus Fiesco weniger einen machthungrigen Politiker als vielmehr einen Mann, der sich an seinen eigenen Spielzügen berauscht. Das füllt der so gut aus, dass die Grenzen zwischen dem Menschen Fiesco und dem Spieler Fiesco fließend sind.

Das Spiel mit dem Spiel, mit dem Wechsel der Rollen, treibt Sebastian auf die Spitze, indem er Frauen in Hosenrollen und Männer in Rockrollen steckt. Roman Konieczny, Rainer Scharenberg, Kaspar Küppers, Stefan Schleue, Emilia Haag und Christiane Nothofer spielen sich im sichtbaren Wechsel für das Publikum durch zehn Rollen (bei Schiller sind es insgesamt 21!). Behände, glaubhaft und mit souveräner Zurückgenommenheit, so dass nicht der Akt des Rollenwechsels an sich, sondern das Spiel in und mit der Rolle im Fokus steht. Dorit Lievenbrück hat dafür eine sprechende Bühne gebaut: mit Schminktischen wie in der Theatermaske im Hintergrund und einem großen Glasrahmen mit prächtiger Tapete, der den Adelspalast markiert.

(NGZ)
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