Literarischer Sommer in neuss Ein Niederländer legt sich mit der Normalität an

Neuss · Herman Koch beschloss mit einer Lesung aus seinem Roman „Einfach leben“ in der voll besetzten Stadtbibliothek den Literarischen Sommer in Neuss.

Zum Abschluss des Literarischen Sommers in Neuss stand in der Stadtbibliothek ein literarischer Kracher auf dem Programm: eine Lesung mit dem niederländischen Autor Herman Koch. „Haben Sie ein Problem? Dann denken Sie doch einfach mal eine Stunde nicht daran!“ Braungebrannt stellte der Bestsellerautor seinen jüngst ins Deutsche übertragenen Roman „Einfach leben“ vor und achtete dabei strikt darauf, dass neben niederländisch auch deutsch vorgetragen wurde. Immerhin eine Hälfte des heiter inspirierenden Abends nahm die Diskussion ein.

 Der niederländische Autor Herman Koch (l.) stellte sein Buch vor. Der Schauspieler Thomas Balou Martin las auf Deutsch.

Der niederländische Autor Herman Koch (l.) stellte sein Buch vor. Der Schauspieler Thomas Balou Martin las auf Deutsch.

Foto: Georg Salzburg(salz)

Moderiert wurde das Ereignis durch Christine Breitschopf von der Stadtbibliothek, und als Vorleser fungierte der Hörbuchsprecher und Kölner Schauspieler Thomas Balou Martin. Der Buchtitel ließ wohlfeile Tipps zur Lebensführung erwarten. Doch Herman Koch versteht sich auf die Kunst, Spannung gerade dadurch zu erzeugen, dass solche Ratschläge radikal in Frage gestellt werden. Man hat zu viel von ihnen gehört und gelesen, als dass sie immer noch irgendjemand hinter dem Ofen hervorlocken.

Tom Sanders ist die Hauptfigur der 112 Seiten des Romans, auf denen Koch das Selbsthilfebuch des fiktiven Autoren-Kollegen gnadenlos zerpflückt. Unerbittliche Satire ist angesagt beim Blick hinter die Kulissen des Familienlebens, und aus behaglicher Selbstzufriedenheit baut sich bitterböse und komisch Seite für Seite ausweglose Verzweiflung auf. Wird da ein zutreffendes Bild unserer Gesellschaft gezeichnet? Lehrt ein weiterreichender Blick auf das heutige politische Personal an den globalen Schalthebeln, dass den fragwürdigen Charakteren die Zukunft gehört?

Herman Koch bekennt freimütig seine Sympathie für unangenehme Zeitgenossen. „Normal“ oder gar „sympathisch“ zu sein, das ist ihm suspekt. Daraus schlägt er seine Funken, und er macht es in einer so geschickten Manier, dass die vielen Zuhörer an seinen Lippen hängen. Verbirgt sich dahinter sogar Kochs Geschäftsmodell beim Schreiben? Rückendeckung erhält er vom Schauspieler, der sympathische Figuren zu spielen für erheblich weniger attraktiv einschätzt, als Fieslinge auf die Bühne zu bringen.

Im Buch stoßen die biederen Verhaltensregeln von Tom Sanders krachend mit der Realität zusammen. Dafür finden sich darin unversehens wieder neue Tipps. „Das Leben ist zu kurz, um nach der Rente noch 20 Jahre zu leben“, ist einer davon. Ein anderer: „Jede Sekunde kann die letzte sein.“ Oder: „Man holt die verlorene Zeit schneller ein, als man denkt.“

Spitzzüngig seine Botschaft an den Mann zu bringen, das ist bei Herman Koch Programm, „wenn auch die meisten Menschen schwer von Kapee sind.“ Freundlich ist das nicht, aber es fördert das Nachdenken.

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