Wisbert gründete vor zehn Jahren Wirtschaftsprüfungs-Büro Herausforderung und Anerkennung im Osten

Von Chris Stoffels

Von Chris Stoffels

Genau einen Monat vor der Deutschen Wiedervereinigung gründete der Neusser Rechtsanwalt, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Jörg Wisbert ein Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungasbüro in Eisenhüttenstadt. Heute zählt die gesamte Praxis 70 Mitarbeiter, die eine Hälfte im Rheinland, die andere in Ostdeutschland. Jörg Wisbert pendelt halb-wöchentlich zwischen Neuss und Eisenhüttenstadt.

Die tausend Flüge zwischen Düsseldorf und Tegel hat er längst voll. Die Stewardessen begrüßen ihn freitags um 20 Uhr in Tegel ebenso mit Namen wie Dienstags um 16.45 Uhr in Düsseldorf. "Die Reisen zwischen Neuss und Eisenhüttenstadt sind wie Busfahren." Für Jörg Wisbert ist das Pendeln zwischen West und Ost Alltag geworden. Das Wochenende und der erste Tag der Woche gehören der Familie mit Ehefrau Marlies, Herausgeberin des Neusser Top-Magazins, und den drei Töchtern in Neuss beziehungsweise dem rheinländischen Bereich der Kanzlei Wisbert & Partner mit Büros in Neuss, Düsseldorf und Moers.

Mittwochs bis Freitags ist er in dem östlichen Part des Steuerberatungs- Wirtschaftsprüfungs- und Anwaltsbüro in Eisenhüttenstadt, Fürstenwalde und Frankfurt/Oder. Der 57-Jährige hat Erfolg, er könnte es durchaus ruhiger angehen lassen. Doch immer noch sieht er sein Engagement im Osten als Herausforderung. Und auch persönlich braucht Jörg Wisbert die Reisen in den Osten: "Wenn ich aus dem Flugzeug steige und nach Eisenhüttenstadt fahre, die wunderschöne Umgebung sehe, dann ist das wie Urlaub für mich." Die Weite und Ruhe Brandenburgs als reizvoller und Kraft spendender Gegensatz zur Industrieregion Neuss mit ihrem hektischen Alltag.

Rückblende: Die Mauer ist gerade gefallen, die ersten Kontakte sind geknüpft, als ihn ein guter Bekannter aus Neuss, dessen Frau aus Brandenburg stammt, nach Eisenhüttenstadt einlädt. Dort sprechen ihn viele Menschen auf wirtschaftliche, steuerliche und juristische Fragen an, fragen um Hilfe, bitten um Unterstützung. Jörg Wisbert kommt schneller wieder, als er ursprünglich geglaubt hatte. Er ist wie elektrisiert, geht aber das "Abenteuer Ost" gleichwohl mit Bedacht an. Am 1. September 1990 eröffnet Jörg Wisbert in Eisenhüttenstadt im ehemaligen Klubhaus "Philipp Müller" an der Oberschleuse eine Kanzlei.

Ein Schritt ins Ungewisse: "Wir begannen völlig ohne Telefon, ohne Möbel und ohne Fachkräfte." Am dringendsten werden die Fachkräfte vermisst. "Doch die Menschen reißen sich um eine Ausbildung." Ein Seemann wird zum Bilanzbuchhalter umgeschult, Agrar-Ingenieure pauken fortan Steuerrecht. Gerne nehmen die Menschen das Angebot für die qualifizierte Ausbildung in dem Neusser Büro an. Bereits in den ersten drei Jahren bilden Wisbert und Partner im Osten 14 junge Menschen aus. "Man spürt, dass die Menschen etwas erreichen wollen. Sie sind nicht so satt wie im Westen." Es sind die Gegensätze, die Jörg Wisbert immer noch faszinieren. Der Bedarf an wirtschaftlicher und steuerlicher Hilfe ist immens.

"Alleine in der Anfangszeit haben wir rund 300 potenzielle Existenzgründer beraten." Auch andere Neusser suchen immer engere Bindung nach Eisenhüttenstadt: So knüpft der Neusser Unternehmer Rolf Schmolz über Wisbert Kontakte zu dem bedeutendsten Unternehmen in der Region, der EKO-Stahl AG. Das Wohl und Wehe der Menschen in Eisenhüttenstadt hängt von diesem Stahl-Giganten ab; die Angst um die Arbeitsplätze geht um - zu Recht. Doch immerhin eröffnen sich für die größte Industrie am Ort nach der Privatisierung und der Eingliederung in den größten europäischen Stahlkonzern Perspektiven einer Neuausrichtung - allerdings mit deutlich weniger Personal.

So soll das gesamte Ost-Geschäft inklusive Russland des Konzerns über EKO abgewickelt werden; ein großes Auto-Recyclingwerk sorgt für ein wenig Entspannung auf dem Arbeitsmarkt und Rohstoff für das Werk. Doch die Folgen der Privatisierung sind auch an anderen Zahlen ablesbar: Die Einwohnerzahl geht von 52.000 auf 42.000 zurück. Wisbert: "Die jungen Menschen hauen ab und versuchen ihr Glück im Westen." Das Büro in Eisenhüttenstadt gedeiht, weitere Niederlassungen werden im nahen Frankfurt und in Fürstenwalde gegründet. Bald versichern sich auch die Kommunen der Dienste des Wirtschaftsprüfers. Wisbert organisiert zum Beispiel das Controlling und die Beteiligungen der Stadt.

Das Büro wird bald zu klein, und Wisbert schreibt sein Engagement im Osten fest: Er baut an der Beeskower Straße ein Geschäftshaus; die mittlerweile stark gewachsene Kanzlei kann sich auf 800 Quadratmeter Bürofläche ausdehnen. Im Oberstübchen richtet sich Jörg Wisbert eine Wohnung ein - "mein Hotelzimmer" für den Drei-Tage-Job in Ostbrandenburg. Gleichzeitig hält er Spur auch im Westen: Der Neusser Teil seiner Kanzlei gründet mit Partnern Büros in Düsseldorf und Moers. Auch wenn der die Hälfte seiner Zeit im Osten tätig ist - "ich bin Neusser geblieben". Das Familienleben ist auf die Wochenaufteilung zugeschnitten: Dienstags 15.45 Uhr ist der feste Termin für Marlies Wisbert, ihren Mann zum Flughafen zu bringen.

Das verschmitzte Rheinische Wesen hat sich Jörg Wisbert bewahrt, Neuss bleibt Heimat. Und doch kann er seine Liebe zu dem brandenburgischen Gefilden nicht verleugnen. Seine Eltern lebten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dort - zurück zu den Wurzeln? "Ich mag die Berliner Art, die auch in Eisenhüttenstadt noch deutlich zu spüren ist." Zehn Jahre sind seit der Vereinigung ins Land gegangen. Natürlich hat sich auch Jörg Wisbert nach der ersten Euphorie der Wende die Frage gestellt, warum er sich immer noch das "Studentenleben" antut.

Er werde immer noch gebraucht, kann und will das Vertrauen der Menschen nicht enttäuschen, das in der Region Eisenhüttenstadt/Frankfurt und Fürstenwalde in ihn und seine Kompetenz gesetzt wird. Die Antwort klingt ähnlich wie vor zehn Jahren: "Ich bin der einzige Wirtschaftsprüfer weit und breit. Hier werde ich gebraucht." Im übrigen habe das Engagement im Osten längst eine "Eigendynamik" entwickelt; das Rad lasse sich nicht mehr zurückdrehen. "Es ist ein Stück meines Lebenswerkes." Wisbert und seine Kanzlei sind längst in der Region verwurzelt: Er ist Mitglied in öffentlichen Gremien der Oder-Region, öffnet sein Haus für Ausstellungen von Nachwuchs-Künstlern, er engagiert sich über den Beruf hinaus in der Wirtschaft.

Und er geht wieder neue Wege: Erst in diesem Jahr gründete der 57-Jährige die Unternehmensberatungsgesellschaft Wisbert AG. Nach dem Abitur am Quirinus-Gymnasium in Neuss studierte Jörg Wisbert Betriebswirtschaft und Rechtswissenschaften an den Universitäten in Köln und Bonn. Nach Stationen in der Finanzverwaltung und in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Düsseldorf folgte 1978 die Zulassung als Rechtsanwalt. 1982 wurde durch das Wirtschaftsministerium in Düsseldorf als Wirtschaftsprüfer bestellt. Im Jahr darauf gründete er die eigene Wirtschaftsprüfer-, Steuerberater- und Rechtsanwaltspraxis in Neuss. Sieben Jahre später nimmt er dann die Herausforderung im Osten an.

Über die sechs Büros hinaus pflegt die Kanzlei Wisbert und Partner Kooperation mit Büros in ganz Deutschland sowie in Polen, Ungarn und den Niederlanden. Eine Bilanz nach einem Jahrzehnt im Osten: Immer noch beflügelt Jörg Wisbert der Erfolg. Vieles von dem, was hier professionell abgetan wird, wird in Eisenhüttenstadt auch menschlich anerkannt. Und Jörg Wisbert hat immer noch das Gefühl: "Dort werde ich gebraucht." Unannehmlichkeiten wie die Vielfliegerei sind ihm längst in Fleisch und Blut übergangen. Seine Frau: "Ihm würde etwas fehlen, wenn er es nicht mehr täte."

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