Shakespeare-Festival im Globe Neuss Wie ein Junge zum König wird

Neuss · „Shakespeare at the Tobacco Factory“ aus Bristol zeigte beim Festival das Historienstück „Henry V.“ von William Shakespeare.

Shakespeare at the Tobacco Factory aus Bristol überzeugt bei „Henry V.“ mit  einer großen Bilderfülle.

Shakespeare at the Tobacco Factory aus Bristol überzeugt bei „Henry V.“ mit  einer großen Bilderfülle.

Foto: Christoph Krey

Fast hätte man denken können, es wäre Absicht: Nachdem beim diesjährigen Shakespeare-Festival im Globe die erste Truppe den Prinzen von Wales als „Charles III.“ auf den englischen Thron setzte, ging es im zweiten Gastspiel um Prinz Harry. Während aber die Eröffnungsinszenierung eine unterhaltsame Idee von Mike Bartlett auf die Bühne brachte, wurde aus dem Prinzen Hal (oder Harry) bei Shakespeare tatsächlich ein König. Auch wenn er vorher als „Party-Prinz“ einen schlechten Leumund hatte. In dem Historiendrama machen die Hofintrigen und eine große Schlacht des Hundertjährigen Krieges mit Frankreich aus dem Saufkumpanen von John Falstaff einen „royalen“ Herrscher Englands.

Mit diesem Stück schloss Shakespeare die letzte Lücke in der zusammenhängenden Reihe von Dramen über die Geschichte Englands von der Machtergreifung des Hauses Lancaster bis zum Übergang der Krone an die Tudors.

Die Inszenierung des Bristoler Theaters „Shakespeare at the Tobacco Factory“ feierte an der Rennbahn ihre Weltpremiere. Warum man aber gerade dieses Drama für eine Tournee durch andere Länder ausgewählt hat, wird bis zum Ende des dreistündigen Abends nicht ganz klar: Zu sehr ist es auf die englische Geschichte fixiert, zu viele historische Namen erweitern die Liste der handelnden Figuren. Und der Kernpunkt der Handlung, die berühmte Schlacht von Azincourt am 25. Oktober 1415, kommt nur durch Erzählungen auf die Bühne.

Die Regisseurin Elizabeth Freestone und ihre 13 Darsteller machen indes daraus ein faszinierendes Spiel um Loyalität und Verrat, um Soldatenehre und üble Profitgier, vor allem aber um „the making of … a king“. Auf dem Programmheft steht ein Zitat aus dem vierten Akt, als King Henry (gut gespielt von Ben Hall) vor der Schlacht nächtens und unerkannt das Lager seiner Soldaten besucht. Im Gespräch mit den Männern, deren Leben er für die Sache Englands aufs Spiel setzen wird, erkennt der Herrscher die Last seiner Verantwortung: „I think the king is but a man.“

Ein wichtiger Entwicklungsschritt, denn noch zu Beginn der Handlung hatte ihn die französische Kronprinzessin mit einem Geschenk verspottet: drei Tennisbälle bekam er, als Anspielung darauf, dass er lieber Sport trieb als zu regieren. Jetzt wartet sein durch Kämpfe und Krankheiten geschwächtes Heer in der Nähe von Calais auf einen schier erdrückenden französischen Gegner.

Wie fast immer bei Tourneebesuchen auf der Globe-Bühne ist die Ausstattung minimal: Sie ist von der Designerin Lily Arnold eingerichtet, metallene Gitterkästen und Aschehaufen dienen als Hintergrund für alle Szenen des Abends. Ebenfalls wie üblich: die meisten Schauspieler besetzen mehrere Rollen.

Es ist besonders beeindruckend, wie es die Truppe schafft, die Illusion eines richtigen Heeres zu erzeugen: durch ständig wiederholte, aber im Tempo wechselnde Auf- und Abgänge über die zentrale Rampe wird das Publikum im Parkett hautnah Zeuge eines großen militärischen Auflaufs.

Auch wenn einige Längen des Abends kaum zu verleugnen sind: Gerade zum Schluss hin gewinnt das Spiel an Bilderfülle. Sehr anrührend ist beispielweise die Szene, als die französische Kronprinzessin, über einen gefallenen Freund gebeugt, sich jedes Körperteil ins Englische übersetzen lässt, um darüber zu trauern.

Im Heimatland des Barden aus Stratford wurde das Stück „Henry V.“ oft zu patriotischer Stimmungsmache benutzt. Dank der klugen Inszenierung von Elizabeth Freestone war im Neusser Globe davon nur wenig zu spüren. Großer Beifall.

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