Im Gespräch mit Reiner Breuer "Genug Arbeit für eine zweite Amtszeit"

Neuss · Bürgermeister Reiner Breuer (49) hat seit gestern die Hälfte seiner Amtszeit hinter sich. Zeit für eine Halbzeitbilanz. Im Interview spricht der Verwaltungschef über Ratsbeschlüsse, durch die Neuss seines Erachtens Millionen verloren hat, den schwierigen Weg zur sozialen und modernen Großstadt und weshalb er Schwarz-Grün unter Zugzwang sieht. Außerdem erklärt Breuer: "Ich habe in Partei und Fraktion der SPD erklärt, dass ich eine weitere Amtszeit anstrebe."

 Bürgermeister Reiner Breuer hatte gestern auf den Tag genau die Hälfte seiner Amtszeit hinter sich. Eine Halbzeitbilanz verbindet er mit einer Bewerbung.

Bürgermeister Reiner Breuer hatte gestern auf den Tag genau die Hälfte seiner Amtszeit hinter sich. Eine Halbzeitbilanz verbindet er mit einer Bewerbung.

Foto: Andreas Woitschützke

Herr Bürgermeister, Neuss ist die größte Stadt im Kreis und müsste Lokomotive der Entwicklung sein. Füllt Neuss diese Rolle aus?

Reiner Breuer Mehr als das. Sie ist Motor im Rhein-Kreis. Sowohl in wirtschaftlicher als auch gesellschaftlicher Hinsicht haben wir unsere Rolle als Kreisstadt eingenommen. Und zwar konstruktiver, als das zuvor der Fall war. Wir reden miteinander, auch über eine Aufgabenverteilung zwischen Kreis sowie Städten und Gemeinden.

Früher war das anders?

Breuer Wir sind mit 160.000 Einwohnern die größte kreisangehörige Stadt Deutschlands. Wir könnten ohne einen Kreis auskommen, doch muss man historische Fakten auch mal zur Kenntnis nehmen. Man kann dem Verlust der Kreisfreiheit 1975 nachtrauern - zu diesen Leute gehöre ich nicht. Ich versuche, über eine Kooperation zu einer Zusammenarbeit zu kommen. Es ist aber klar: Zuvorderst ist die Stadt gefordert, für ihre Bürger die Aufgaben zu erledigen. Der Kreis wird nachrangig tätig. Es ist deshalb nicht nötig, dass wir eine Kreis-Baugesellschaft bekommen. Das sehen übrigens alle Bürgermeisterkollegen so.

Wenn die Stadt die Lokomotive ist: Hätte man sich beim Thema Krankenhausfusion nicht an die Spitze der Bewegung stellen müssen?

Breuer Nein, denn nicht wir haben Handlungsdruck. Den hat der Landrat, der seit Jahrzehnten defizitäre Kreiskrankenhäuser führt. Wir müssen aufpassen, dass uns daraus kein Nachteil erwächst.

Wenn Sie die Kreisgebundenheit der Stadt akzeptieren: Wie wollen Sie die Stadt im Kreis positionieren?

Breuer Ich möchte Neuss als soziale und moderne Großstadt positionieren. Das Ziel ist noch nicht erreicht, doch Neuss bewegt sich in die richtige Richtung.

Zum Bild von der Lokomotive im Kreis passt das vom Bürgermeister als Anführer in der Stadt. Füllen Sie diese Rolle schon aus?

Breuer 95 Prozent aller Entscheidungen im Rat werden einstimmig getroffen, die anderen fünf Prozent stehen in der NGZ. Und deswegen sage ich: Ja. Die Verwaltung legt vor, wir machen die Vorlagen für die Fachausschüsse und den Rat. Bei allem Einvernehmen gibt es Fragen, die natürlich auch streitig diskutiert werden dürfen. In diesen Dingen fällt mir dann eher eine Moderatorenrolle zu. Aber natürlich habe ich immer auch eine eigene Meinung - und halte mit dieser nicht hinter dem Berg. Die Bürger erwarten, dass man Stellung bezieht, eine Haltung hat - und das mache ich.

Gleich am Anfang Ihrer Amtszeit gab es mit der Jugendstil-Sammlung so einen strittigen Fall. Viele im Rat haben kritisiert, dass von Ihnen dazu keine eindeutige Aussage kam.

Breuer Genau das war so ein Fall, wo ich eine moderierende Rolle eingenommen habe, eben weil die Meinungen so weit auseinanderlagen. Ich bin auch in der Rückschau überzeugt: Das war der richtige Weg.

Beim Thema Schule oder Zukunft des Galopp sind Sie andererseits eine Meinung nie schuldig geblieben. Was war da anders?

Breuer Ich verfolge in der Schulpolitik seit Jahren eine klare Zielsetzung. Schulpolitik ist für mich Teil der Sozialpolitik, weil es da um die Herstellung von Chancengerechtigkeit geht. Heute wird niemand mehr abgewiesen, wenn er sein Kind an einer Gesamtschule anmeldet. Darauf bin ich auch stolz.

In beiden Fällen scheint Ihnen die Entwicklung recht zu geben....

Breuer Das Thema Rennbahn ist trotz der gefassten Beschlüsse zur Kündigung des Pachtvertrages bei weitem noch nicht abgeschlossen.

...rechnen Sie auch in Sachen Schraubenfabrik damit? Sie wollten kaufen, eine Mehrheit im Rat nicht - und jetzt muss sich Neuss mit einem Investor auseinandersetzen, der, das zeigt der Fall Pierburg Alt, - sagen wir mal so - nicht ganz einfach ist.

Breuer Das bin ich auch nicht immer, trotzdem kommt man zu guten Ergebnissen, auch mit der Bema. Wir haben mit dem Düsseldorfer Projektentwickler einen Partner gefunden, der in Neuss investiert, aber auch klare Rahmenbedingungen gesetzt bekommt. Ich hätte mir gewünscht, dass wir als Stadt selbst Bauer & Schaurte kaufen und entwickeln. Der Rat ist dem nicht gefolgt. Leider. Das war eine der teuersten Entscheidungen, die der Rat je getroffen hat. Ich schätze, dass uns dadurch rund zehn Millionen Euro verlorengegangen sind.

Wenn Sie so oft Recht behalten: Wie geht denn das Thema TG-Sportzentrum aus?

Breuer (lacht) Es geht nicht darum, Recht zu behalten, sondern einen guten Weg zu finden. Wir hören uns jetzt erst einmal von der TG an, was gewünscht ist. Ich habe immer gesagt: Wenn die TG will, dass das Sportzentrum am Südpark entsteht, kann das auch der richtige Standort sein. Ich habe aber einen besseren.

Fühlen Sie sich gerade in diesem Punkt von Schwarz-Grün im Rat vorgeführt, die den Standort festgelegt haben, ohne dass alle Beteiligten überhaupt das Konzept kennen?

Breuer Ich kann die Koalition von CDU und Grünen verstehen. Sie kommt allmählich in Zugzwang, auch mal ein paar Themen zu setzen. Ob sie der TG damit einen Gefallen getan haben, darf man mal bezweifeln.

Mal zu Ihnen als Verwaltungschef. Die Grünpflege - laut Gemeindeprüfungsanstalt eine Katastrophe. Zumindest in der Vergangenheit. Da sind Sie als Sanierer gefordert und müssen echte Aufräumarbeit leisten.

Breuer Der GPA-Bericht betrifft den Zeitraum 2010 bis 2015, also die Zeit vor meinem Dienstantritt. Mit Beginn meiner Amtszeit bin ich in alle Ämter und auch in das Grünflächenamt gegangen und habe mich informiert. 20 Stellen sind seitdem dort wiederbesetzt worden. Das muss nicht das Ende der Fahnenstange sein. Wir müssen uns mit der Politik auf Qualitätsstandards bei der Grünpflege verständigen, dann sehen wir weiter.

Gab es weitere Baustellen?

Breuer Sicher gab es die. Aber ich bin zufrieden mit der Leistungsfähigkeit der Verwaltung. Und wir haben einiges unternommen, um sie effizienter und - darauf lege ich großen Wert - bürgerfreundlicher zu machen. Wir haben die Bürger als Kunden im Blick - und danach richten wir unsere Arbeit aus.

Sie haben im Rathaus einige Ämter umgebaut und ein Integrationsamt eingerichtet. Was hat Sie dazu bewogen? Schon Ihr Vorgänger Herbert Napp hat die Integration zur Chefsache gemacht.

Breuer Aber nicht so behandelt. Zuwanderung und Integration war eines der größten und schwierigsten Themen gleich zu Beginn meiner Amtszeit. Es ist gelungen, diese Herausforderung - mit Unterstützung von Bürgerschaft und Politik - zu schultern. Jetzt heißt die Aufgabe: Integration zum Gelingen bringen. Um Hilfe aus einer Hand gewähren zu können, haben wir die Aufgaben und Zuständigkeiten gebündelt. Das scheint gut zu funktionieren.

Und Sie haben ein Bürgermeisteramt gegründet, das Herausgeber der Kostenlos-Zeitung "Neuss publik" ist. Warum hängen Sie so daran?

Breuer Hänge ich so daran? In anderen Städten ist selbstverständlich, dass die Verwaltung darstellt, welche Leistungen sie erbringt.

Wenn Sie nicht so daran hängen, warum fangen Sie deshalb einen Streit darüber mit dem Rat an?

Breuer Ich habe keinen Streit. Ich habe den Eindruck, dass die sogenannte Koalition Befürchtungen hat, ich würde das als persönliches Publicity-Instrument nutzen. Das werde ich natürlich nicht tun.

Wie würden Sie das Verhältnis Bürgermeister zu Schwarz -Grün im Moment beschreiben?

Breuer Konstruktiv-kritisch. Ich bin nicht eingeschnappt, wenn CDU und Grüne andere Auffassungen vertreten. Aber ich erwarte, dass man sich mit gegenseitigem Respekt begegnet. Ich achte das kommunale Ehrenamt, wir unterstützen den Rat mit Informationen. Alle Fraktionen werden gleich gut behandelt, es gibt keine Privilegien mehr. Diese alten Zöpfe haben wir abgeschnitten.

Sie sind mit dem Schlagwort Transparenz angetreten, im Rat behaupten einige, sie wären eher ein Controletti, weil alle Unterlagen über Ihren Tisch müssten und daher zu viele davon der Politik erst in der Sitzung selbst vorgelegt werden. Wie passt das zusammen?

Breuer Ich kann den Einwand nicht nachvollziehen. Natürlich versuche ich Dinge, die wichtig sind, zu steuern. Und selbstverständlich sehe ich mir Vorlagen an, die von politischer Relevanz sind. Aber deswegen ist man kein Controletti. Die Bürger haben mir die Aufgabe übertragen, dass ich diese Verwaltung führe. Das tue ich. Als Controletti würde ich eher die eine oder andere Aktion der Politiker sehen.

Was soll von Ihrer - ersten? - Amtszeit bleiben? Oder sind Sie es schon leid?

Breuer Im Gegenteil. Ich habe vielmehr Blut geleckt. Man kann in fünf Jahren nicht alle Ziele umsetzen. "Neuss bewegen" war mein Wahlkampfslogan. Neuss bewegt sich auch - aber ich brauche mindestens eine weitere Amtszeit.

Als Beobachter hat man den Eindruck, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ist eines Ihrer Kernthemen. Richtig beobachtet? Neue Heimat für alle Neusser?

Breuer Ein Zuhause oder eine Heimat. Heimat ist in der Tat in Neuss Chefsache. Und beim Zuhause ist ganz entscheidend, dass es bezahlbar ist. Analysen belegen, dass das ein zentrales Thema ist. Das Problem ist ganz real. Mehr als die Hälfte der Neusser Haushalte hat Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Auch als Aufsichtsrat des Neusser Bauvereins kann ich sagen, dass da ein Umdenken und ein Umsteuern stattgefunden hat. Wir brauchen mehr Baukräne und weniger Baupläne.

Auch da sind Sie als Reparaturbetrieb gefordert, müssen Versäumtes nachholen.

Breuer Ja. Ich bin das Thema angegangen und kann feststellen: Da haben wir Schwung reinbekommen. Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende dieser Amtszeit deutliche Verbesserungen erreicht haben. Wenn auch nicht in dem Umfang, den ich mir wünsche. Eine große Herausforderung in der wachsenden Stadt Neuss ist aber auch die Schaffung einer ausreichenden Infrastruktur. 20 neue Kitas bis 2025 zu bauen, zum Beispiel, ist eine Hausnummer. Aber es ist ein schönes Zeichen, wenn man die Gelegenheit hat, Kindergärten bauen zu dürfen. Es macht jeden Bürgermeister glücklich, Kindergärten eröffnen zu dürfen.

Zum Schluss möchte ich Sie ermuntern, visionär zu denken. Der Verkehr in Neuss war, ist und bleibt ein Problem. Wann bekommt Neuss eine U-Bahn?

Breuer (lacht) In meiner ersten Amtszeit nicht. Aber in der Tat müssen wir den Verkehr sehr viel intelligenter organisieren und den Verkehrsmix neu gestalten, damit wir nicht irgendwann am Verkehr ersticken. Wir kommen um eine Verkehrswende nicht herum. Genug Arbeit also für ein zweite Amtszeit.

CHRISTOPH KLEINAU FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(NGZ)
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