Neuss Gehörlose trainieren gemeinsam mit Hörenden

Neuss · Die DJK Rheinkraft möchte in Neuss ein Gehörlosen-Sportzentrum aufbauen. Dazu gibt es nun Fördergelder der "Aktion Mensch".

 Zum team von Trainer Guido Kluth Re.) gehören die gehörlosen jungen Sportler Leo Fauser (li.) und Nadine Brutschler. Sie trainieren gemeinsam mit hörenden Sportlern der DJK Rheinkraft.

Zum team von Trainer Guido Kluth Re.) gehören die gehörlosen jungen Sportler Leo Fauser (li.) und Nadine Brutschler. Sie trainieren gemeinsam mit hörenden Sportlern der DJK Rheinkraft.

Foto: woi

Die Inklusion als gemeinsames Lernen, Erleben und Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung ist derzeit ein wichtiges Thema in der Bildungspolitik. Beim Sportverein DJK Rheinkraft wird Inklusion bereits gelebt. Denn unter der Leitung von Guido Kluth wird eine integrative Trainingsgruppe von gehörlosen und hörenden Menschen aufgebaut. Die "Aktion Mensch" unterstützt das gemeinsame Training von gehörlosen und hörenden Athleten mit rund 55 000 Euro. Ziel ist der Aufbau eines Gehörlosen-Sportzentrums in Neuss.

Kluth ist seit 2008 Bundestrainer der Gehörlosen. "Zuvor hatte ich nie eine Verbindung zu gehörlosen Menschen", erzählt er. "Gebärdensprache hat mich aber immer fasziniert." Als er gefragt wurde, ob er diesen Job übernehmen wolle, zögerte der Unternehmensberater nicht, absolvierte einen Lehrgang und lernte die Gebärdensprache.

Dreimal pro Woche trainiert er ehrenamtlich mit integrativen Gruppen aus Hörenden und Gehörlosen auf der Ludwig-Wolker-Anlage an der Weberstraße, fährt mit den behinderten Sportlern weltweit zu Wettkämpfen. Noch ist die Gruppe der Gehörlosen recht überschaubar. Bei den Kindern ist der siebenjährige Leo Fauser dabei, in der älteren Gruppe fünf weitere Gehörlose. Kluth würde die Gruppen gerne vergrößern. Er schätzt, dass im Kreis Neuss rund 400 gehörlose Kinder und Jugendliche leben. "Ich wäre schon froh, wenn zehn Prozent von denen mit uns Sport machen", sagt der Trainer.

Die DJK Rheinkraft Neuss arbeitet im Patensystem. Mindestens ein Hörender kümmert sich um einen Gehörlosen. Die Hörfähigkeit der Athleten ist sehr unterschiedlich. "Manche sind von Geburt an taub, andere haben eine mittlere Schwerhörigkeit", erzählt Kluth.

Nadine Brutscher, amtierende EU-Meisterin im Gehörlosen-Siebenkampf, ist von Geburt an gehörlos. Dennoch kann die 19-Jährige ein normales Gespräch führen. "Als ich 21 Monate alt war, erhielt ich zunächst zwei Hörgeräte", erzählt sie. 2004 sei ihr das erste Implantat eingesetzt worden, 2012 das zweite. Mit Hilfe dieser sogenannten Cochlear-Implantate kann sie hören, aber auch selbst sprechen.

"Diese Implantate gibt es seit Ende der 90er Jahre", sagt Kluth. Sie ermöglichen den Gehörlosen den Besuch einer Regelschule. "Aber die Gebärdensprache und die Kultur der Gehörlosen verliert dadurch zunehmend an Bedeutung", meint der Bundestrainer. Die Folge sei, dass der gemeinsame Sport von Menschen mit Höreinschränkungen innerhalb des Deutschen Gehörlosen Sportverbandes immer seltener werde, fügt Steffen Rosewig hinzu. Er ist Fachwart Leichtathletik im Gehörlosen-Sportverband und taub. Mithilfe der Gebärdensprache verständigt er sich mit seinem Kollegen Kluth.

Gemeinsam wollen sie den Gehörlosensport wieder stärken und ein Gehörlosen-Netzwerk Neuss aufbauen. Denn Menschen mit Hörbeeinträchtigungen haben häufig auch andere Einschränkungen: Der Gleichgewichtssinn ist oft stark beeinträchtigt, ebenso koordinative Fähigkeiten. "Ich habe eine Sportlerin, die kann nicht auf einem Bein stehen", sagt Kluth. Ein anderer Athlet kann nicht mehr verständlich sprechen, sobald er die Implantate abgelegt hat. Bei Wettkämpfen müssen aber die Hörhilfen abgelegt werden, um die gleichen Bedingungen für alle zu gewährleisten. Bei den Wettläufen erklingt übrigens kein Schuss, sondern eine Ampel signalisiert den Athleten den Start. "Bei 'orange' sind wir in der Fertigposition, bei 'grün' laufen wir los", sagt Nadine Brutscher: "Das ist wie bei der Formel 1."

(NGZ)
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