Shakespeare-Festival in Neuss Frauenpower für Shakespeare

Neuss · Die Besetzung ist eine Umkehrung der Spielpraxis zur Shakespeares Zeiten: Vier Frauen stehen in „Der Sturm“ auf der Bühne und übernehmen alle Rollen. Denn die Männer der Handlebards haben nun ein weibliches Pendant.

 Auch die Frauen der Handlebards aus London können Theater – zum Beispiel Shakespeares Stück „The Tempest“ (Der Sturm).

Auch die Frauen der Handlebards aus London können Theater – zum Beispiel Shakespeares Stück „The Tempest“ (Der Sturm).

Foto: Christoph Krey

Rund eineinhalb Stunden der Aufführung sind schon gespielt. Dann wird der erste Zuschauer auf die Bühne geholt. Und noch einer. Und noch einer. Gleich drei Männer sind es, die einzigen Vertreter ihres Geschlechts, die sich kurzfristig die Spielfläche mit den weiblichen Handlebards teilen dürfen. Es scheint zum Prinzip der freien Theatergruppe zu gehören, Zuschauer als „Mitspieler“ zu akquirieren. Das haben die schon drei Mal im Neusser Globe (in unterschiedlichen Konstellationen) aufgetretenen Männer gemacht, und nun zeigt auch der weibliche Teil der Truppe, das sie es genauso gut kann. Oder vielleicht lieber: fast so gut kann. Denn ein bisschen fehlt es den vier Schauspielerinnen auf der Bühne noch an jener Selbstverständlichkeit, die das männliche Pendant der Handlebards dabei zeigt.

„The Tempest“ (Der Sturm) ist die zweite Produktion des weiblichen Quartetts (nach „Romeo und Julia“ 2018), und auch die vier Frauen Ellice Stevens (Prospero) Tika Mu’Tamir (Ariel, Trinculo, Gonzalo), Katie Sherrad (Miranda, Alonso, Stefano, Sebastian) und Roisin Brehony (Caliban, Antonio, Ferdinand) werfen sich regelrecht in ihre Rollen, liefern unter der Regie von Nel Crouch eine turbulente Inszenierung ab, in der viele Versatzstücke dem Handlebards-Kenner bekannt sein dürften.

Zwar fehlt es in Sachen Requisiten an den namensgebenden Fahrradlenkern, aber auch die vier Frauen tragen rote, blaue, gelbe und grüne Strümpfe und kurze Hosen, übernehmen alle wichtigen Rollen, arbeiten mit blitzschnellen Wechseln und greifen dabei auf Kostümversatzstücke zurück, die schnell an- und ausgezogen sind – oder eben kurzerhand einem Zuschauer aufgedrängt werden. Der ist dann eben mal ein stummer König Alonso, wird höchstens per Handzeichen animiert, in rhythmische Bewegungen zu verfallen. Auch wenn das Globe wie an diesem Nachmittag nur schwach besetzt ist – die Schauspielerinnen müssen nicht lange suchen, um in den vorderen Reihen jemanden zu finden, der kurzfristig zum Mitspieler wird.

Ausschließlich Shakespeares Werke haben die Handlebards bislang gezeigt, mit dem „Sturm“ hat sich der weibliche Teil der Truppe ein Stück ausgesucht, das diverse Interpretationsmöglichkeiten zulässt, als Shakespeare letztes komplettes Stück gilt, aber beim Neusser Festival nicht allzu häufig auf dem Spielplan steht. So dürfte die inhaltliche Zusammenfassung auf Deutsch für manchen Zuschauer wichtig sein, denn textlastig ist der „Sturm“ allemal. Gut also, dass die Schauspielerinnen auch auf Mimik und Gestik setzen – was allen dreien wunderbar gelingt, vorne weg Roisin Brehony.

Mit den Zutaten Macht, Liebe und Intrige erzählt das Stück von den üblichen Themen Shakespeares. Prospero hat es nach dem Machtverlust in Mailand auf eine einsame Insel verschlagen, wo er dank seiner Zauberkräfte sich den Luftgeist Ariel und Caliban, den Sohn einer Hexe, untertan macht und Tochter Miranda fern aller Welt aufzieht. Ein von ihm entfesselter Sturm spült seine Bruder, dessen Sohn Ferdinand und einige andere auf seine Insel, Prospero kann zurückkehren. Und natürlich verlieben sich Ferdinand und Miranda ineinander.

Einerseits wird die Geschichte  brav erzählt, andererseits nehmen die Spielerinnen ihre Figuren nicht so ernst. Da gibt es den etwas eitlen Prospero, die naive Miranda, den schmierigen Caliban, den dankbaren Ariel und den braven Ferdinand. Wasserpistole, Seifenblasen, Zauberstab und unechte Bärte kommen genauso zum Einsatz wie ungewöhnliche Instrumente und Unterhosen mit großen Herzen.

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