Neuss Flügel aus den Fersen

Neuss · Neuss Am Anfang war's nur der "Weihnachtsrummel", später dann die Weltpolitik - so oder so floß der Unmut des Künstlers über dieses wie jenes in ein Objekt ein, das seit einem Vierteljahrhundert Jahr für Jahr erst in den Kopf und dann ins Atelier von Rolf Geissler einzieht: der Weihnachtsengel.

Epo verleiht Flügel, findet Rolf Geissler und hat aus dem Weihnachtsengel 2006 einen Radrennfahrer gemacht, der am Tropf hängt. Repros (2):

Epo verleiht Flügel, findet Rolf Geissler und hat aus dem Weihnachtsengel 2006 einen Radrennfahrer gemacht, der am Tropf hängt. Repros (2):

Foto: A. Wagner

Sah der Pionier 1982 noch in etwa so aus, wie man sich ein himmlisches Wesen vorstellt - nämlich mit Pausbacken und Posaune -, so verlor der Engel in den Folgejahren alles, was man auch nur im entferntesten als lieblich bezeichnen könnte. Nur eines blieb an ihm haften: die Flügel, wenn auch manchmal arg zerrupft.

Neuss: Flügel aus den Fersen
Foto: A. Wagner

Auch der jüngste Weihnachtsengel hat dieses Zeichen seines Standes nicht verloren; es sprießt aus seinen Fersen. "Und plötzlich wuchsen ihm Flügel" ist gar der Titel der Radierung mit ein wenig Kupferstich, denn Rolf Geissler hat seinem Engel einen Infusionsständer mit EPO, der verbotenen Dopingsubstanz, auf den Rücken geschnallt.

Das Zeug hat auch die Profis unter den irdischen Radfahrer beflügelt, und genau die sind es auch, denen der Künstler seinen Engel widmet.

Jan Ullrich, Floyd Landis - mit den Skandalen um die Tour de France-Helden konnte die Weltpolitik für Geissler nicht konkurrieren: "Irak, Iran, Naher Osten, ein Jahr Angela Merkel - irgendwie ist doch alles beim Alten geblieben", sagt Geissler, und ein leicht resignierter Unterton liegt dabei in seiner Stimme.

Doch ist das Thema Radrennen und Doping für ihn beileibe kein Nebenschauplatz, schließlich hat der Künstler wie viele andere auch vor dem Fernseher gesessen und die Tour de France verfolgt, zeigt sich empört und überrascht, dass selbst die Spitzenfahrer zu den verbotenen Mitteln greifen.

Auch wenn die Sandoz-Katastrophe 1986 in des Künstlers Kopf vor allem politisch motivierte Bilder von überaus böse-zuspitzenden Weihnachtsengeln schuf - in der Folge war auch immer mal wieder einer dazwischen, der von eher harmlosen, gleichwohl bewegenden Ereignissen inspiriert wurde, etwa vom Tod Lady Dianas oder dem Jurassic-Fieber.

Mit dem Entstehen von Nr. 25 der Geisslerschen Heerscharen hat der Künstler auch beschlossen, sie alle gemeinsam auszustellen. In seinem Atelier zeigt er seine Arbeiten bis Weihnachten.

Zur Eröffnung will RLT-Schauspieler Hannes Schäfer ihn mit einer Lesung überraschen - "bestimmt von kleinen Frechheiten", sagt Geissler und lacht dabei. Durchaus hoffnungsfroh.

(NGZ)
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