Neuss Flüchtlinge als Nachbarn

Neuss · Ein Asylbewerberheim in der Nachbarschaft – für Neuss ist das Neuland, für die Gemeinde Hemer im Sauerland bereits Alltag. Thorsten Streber, Journalist aus Hemer, berichtet für die NGZ über die Situation in seiner Heimatstadt.

Noch immer ist offen, ob im Neusser Alexianer-Krankenhaus eine Anlaufstelle für Asylbewerber geschaffen wird – und so manch einer fragt sich, wie sich das gesellschaftliche Leben ändert, wenn eine Stadt Flüchtlinge in so großer Zahl aufnimmt. Vor dieser Frage stand vor neunzehn Jahren auch die Stadt Hemer im Sauerland: Dort sind seit dem Jahr 1993 Asylbewerber in einer ehemaligen britischen Kaserne untergebracht.

Ein wirkliches Problem hat damit heute kaum noch jemand. Doch die Einrichtung stößt derzeit an ihre Grenzen: Eigentlich ist in der Unterkunft Platz für rund 500 Flüchtlinge. Angesichts der aktuellen Flüchtlingszahlen gibt es inzwischen eine vorläufige Freigabe für 700 Aufnahmen. Rund die Hälfte der Bewohner kommt vom Balkan, etwa neun Prozent aus Syrien.

Nur wenige Baumreihen trennen die Asylbewerber-Unterkunft im Ortsteil Apricke vom Grundstück von Heinz Alich. "Wir sind nicht begeistert, aber wir nehmen die Unterkunft in unserer Nachbarschaft in Kauf", sagt Alich, der als Vorsitzender des Bürgervereins Apricke auch die Interessen seines Dorfs im Auge hat. Als die Einrichtung 1993 öffnete, sei man zwar besorgt gewesen. "Aber irgendwo müssen die Flüchtlinge ja untergebracht werden", sagt Alich, und betont: "Öffentliche Proteste gab es damals keine." Der große Andrang ist für ihn nichts Neues: Anfang der 1990er-Jahre und nochmals während des Kosovo-Kriegs 1999 war das Camp ähnlich stark ausgelastet.

Die Flüchtlinge bleiben jeweils nur wenige Wochen in der Hemeraner Unterkunft, bevor sie auf die NRW-Kommunen verteilt werden. In dieser Zeit kümmern sich die Malteser um die Betreuung, vor allem auch der Kinder. Unterstützung erhalten sie dabei von den Anwohnern. Erst an Erntedank sammelte die evangelische Kirchengemeinde wieder für die Asylbewerber, Einzelhändler spenden regelmäßig, und an den Grundschulen wird gebrauchte Babykleidung zusammengetragen.

Die Sorge vor zunehmender Kriminalität sei unbegründet, glaubt Alich. "Es gibt vereinzelte Fälle, hin und wieder zum Beispiel Diebstahl, aber nichts Außergewöhnliches." Polizeisprecher Norbert Pusch kann diesen Eindruck bestätigen: "Die Asylbewerber-Unterkunft ist kein Brennpunkt für Kriminalität." Höchstens wenn Streitigkeiten zwischen den Flüchtlingen eskalieren, müssten die Beamten eingreifen. "Lagerkollaps" nennt Heinz Alich das. Ihn bewegt das Schicksal der Flüchtlinge ganz persönlich. Als Vertriebener war er in einer ähnlichen Situation, als er nach dem Zweiten Weltkrieg nach Ostfriesland kam. "Im Vergleich dazu ist die Malteser-Unterkunft ein Hilton-Hotel", sagt er heute.

(NGZ/ac)
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