Neuss Flötespielen wie im Mittelalter

Neuss · Carl Pause, Archäologe des Clemens-Sels-Museum, hat von einem Knochenschnitzer eine Flöte nachbauen lassen, wie sie im Mittelalter unter den sogenannten einfachen Leuten beliebt war.

 Solveig Hagen zeigt die Knochenflöte im Original (dunkel) und Fälschung (hell). Von anderen Flötenfunden sind nur Bruchstücke erhalten.

Solveig Hagen zeigt die Knochenflöte im Original (dunkel) und Fälschung (hell). Von anderen Flötenfunden sind nur Bruchstücke erhalten.

Foto: Woi

Zäh wie Holz, dabei sehr hart, lange haltend und gut erschwinglich auch für jene, die nicht so viel Geld in der Tasche hatten: Schon im Mittelalter haben die Menschen billige Lösungen gesucht, um Knöpfe, Möbelscharniere oder anderen Zierrat herzustellen und sind dabei auf ein Material gestoßen, das gewissermaßen vor der Tür lag — Schafsknochen.

"Ein billiger Ersatz für Elfenbein", sagt der Archäologe des Clemens-Sels-Museum, Carl Pause, schmunzelnd und hält dabei einen Gegenstand in der Hand, der in der großen mittelalterlichen Schatzkiste Busbahnhof gefunden wurde. Eine kleine Einhandflöte, die allerdings völlig verdreckt war und vermutlich auch bei der Produktion kaputt gegangen ist.

Begrenzter Tonumfang

Woher Pause das weiß? "Sie ist nicht poliert wie andere", sagt er, außerdem habe das Mundstück keinen Block, der das Loch, das die Lippen beim Spielen umschließen müssen, verkleinert. Einhand-Knochenflöten, in der Regel aus Schienbeinen von Schafen geschnitzt, waren unter den einfachen Menschen im Mittelalter sehr gebräuchlich, aber ihre Herstellung setzte wie das Spielen darauf gute Kenntnisse voraus. "Sie hat nur einen begrenzten Tonumfang, aber ist nicht einfach zu spielen."

Das kann die Musikerin Solveig Hagen aus vollem Herzen bestätigen. Denn Pause hat von einem Knochenschnitzer in Süddeutschland eine Replik des Fundstücks anfertigen lassen und will diese in Führungen einsetzen. Dann ist wohl auch nötig, was die Germanistin gerade vormacht: Die Flöte in den Händen halten und hin- und herdrehen, damit das Material warm wird. "Sonst quietscht sie", sagt die 26-Jährige, die als Mitarbeiterin des Museums auch Führungen macht, sich mit Klarinette und Saxofon bestens auskennt, aber bei der mittelalterlichen Flöte an ihre Grenzen kommt. Die Neusser Replik wurde denn auch von einem Musikarchäologen ein bisschen "nachgetunt". Schon ein kleines Krümelchen im Luftloch könne den Ton verändern, hat Solveig Hagen festgestellt.

Was einst auf diesen Einhandflöten von den einfachen Leuten gespielt wurde, ist jedoch nicht überliefert. "Es wurde ja kaum etwas aufgeschrieben", erklärt Pause, aber er weiß von mittelalterlichen Abbildungen, dass die andere Hand des Spielers in der Regel dazu diente, den Takt zu schlagen. Damit genau das auch den Besuchern des Museums vorgeführt werden kann, hat Pause das Instrumentarium für Führungen vergrößert, eine moderne Einhandflöte und "ein kleines Trömmelchen" dazugekauft.

Aber auch die Flötenoriginale aus dem Mittelalter konnten richtige Melodien spielen, die sogar über zwei Oktaven gingen. "Voraussetzung ist eine gewisse Vertrautheit mit dem Instrument", sagt Pause lachend. Für die Menschen im Mittelalter war das kein Thema, denn "das Selbermusizieren war ihnen sehr wichtig".

(NGZ)
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