Neuss Faszinierende Bilder

Neuss · Im Theater am Schlachthof hatte ein ungewöhnliches Projekt Premiere: "Six Feet under – Gestorben wird immer" von Reinhard Mlotek und Michael Hewel. Es bot vier Stunden mit Theater, Tanz, Film, Kunst und Musik.

 Leben und Tod: Das Theater am Schlachthof zeigt "Six Feet under — Gestorben wird immer". Die Premiere zog die Besucher in ihren Bann.

Leben und Tod: Das Theater am Schlachthof zeigt "Six Feet under — Gestorben wird immer". Die Premiere zog die Besucher in ihren Bann.

Foto: NGZ

Im Theater am Schlachthof hatte ein ungewöhnliches Projekt Premiere: "Six Feet under — Gestorben wird immer" von Reinhard Mlotek und Michael Hewel. Es bot vier Stunden mit Theater, Tanz, Film, Kunst und Musik.

Es sind Bilder, wie sie wohl in jedem alten Fotoalbum zu finden sind: Kinderaufnahmen, Urlaubsbilder, Schnappschüsse von Partys und Festen, am Ende Fotos vom Blumenmeer am Grab. "Ilses Leben" heißt die Diashow, die Jü Walter aus familiären Alben zusammengefasst hat, eine Abfolge aus Bildern, deren Genialität darin besteht, dass sie vor allem deutlich macht, was diese Fotos eben gerade nicht zeigen: Ilses Leben.

Gedanken, Träume, Ideen, Hoffnungen und Sorgen, Ängste und Wünsche — was bleibt von alldem nach dem Tod? Und was ist es, dieses Ende, gefürchtet oder ersehnt, aber immer todsicher? Schlussakkord und Auftakt zugleich sind Jü Walters Bilder seiner Mutter Ilse in einem faszinierenden multimedialen Projekt, in dem sich Reinhard Mlotek, Geschäftsführer des Theaters am Schlachthof, und Regisseur Michael Hewel mit dem Tod auseinandersetzen. Weil "der Traum von der Unsterblichkeit… die maßgebliche Psychose dieser Epoche" ist, wie sie im Programmheft zu "Six feet under — Gestorben wird immer" pointiert diagnostizieren, haben sie sich aufgemacht, den Tod wieder dorthin zu rücken, wo er hingehört, nämlich mitten ins Leben.

Dabei haben sie erstens eine blitzgescheite Form gefunden, die dem Publikum so wenig wie das Leben große Chance zum langen Verweilen lässt, sondern schicken es auf die Reise, unterwegs zwischen den verschiedenen Bühnen des Hauses, ein kreisförmiger Weg, der mit den Bildern einer Sterbenden beginnt und mit den Bildern ihres Lebens endet.

Zweitens gelingt ihnen die schiere Unmöglichkeit, das Thema ernst und doch völlig frei von Pathos aufzugreifen: In neun Stationen führen sie ihre Zuschauer durch die Welt des Jenseits, schaffen faszinierende Bilder, geben packende Impulse, stellen Fragen, suchen Antworten. Was ihnen auf diese Weise gelingt, ist ein grandioser Abend, packend und verstörend, leicht und unterhaltsam, rätselhaft und irritierend, voll Humor und Dramatik, Zorn und Leben.

Last not least haben sie ideenreiche Mitstreiter gewonnen: Dezent und doch stets pointiert und stimmungsvoll begleitet Andreas Steffens die Reise durch den Hades auf verschiedenen Instrumenten. Mit Treffsicherheit beweist Kostümbildner Tom von Döllen wieder, dass er ein Glücksfall für das Theater ist, egal ob er in den metallenen Schmetterlingsflügeln des Thanatos die Leichtigkeit des Lebens und die Unerbittlichkeit des Todes mit großer Klarheit vereint oder ob er die herrlichen Kostüme der Erzählerinnen gestaltet. Mit beinahe kindlicher Attitüde gelingt Karima Rösgen als Darstellerin eine grandiose Balance zwischen Unschuld und Abgründigkeit, Maria Faust ist eine wunderbar mysteriöse Erzählerin, ernsthaft und unergründlich.

Eine packende Installation aus Spiegeln und blauen Bändern hat Reinhard Mlotek geschaffen, die die Blicke der Zuschauer mühelos nach oben lenkt, ins Offene, Unendliche. Atemberaubend ist die Choreographie, mit der sich Stefanie Rahn und Fernando Flores den Texten und Fragen des Abends nähern: Körper, die hinter Spiegeln unsichtbar werden, Füße und Hände, die sich vorsichtig an Lichtpunkte tasten, das Ungreifbare zu halten suchen. Das sind tolle Bilder, eingängig und packend, ergreifend wie die Fotos von Jü Walter, die Ende und Auftakt sind zum unendlichen Kreislauf von Leben und Tod.

(RP)
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