Neuss Equus – bedrückend intensiv

Neuss · Peter Shaffers Drama "Equus" wurde von Johann Wild am Theater am Schlachthof inszeniert. Die Aufführung vereint Schauspiel, Tanz und eigens dafür komponierte Musik.

 Der 24-jährige Tobias Wollschläger (r.) spielt glaubwürdig den 17-jährigen Alan. Stefan Krause als Psychiater Martin Dysart ist sein Gegenpart.

Der 24-jährige Tobias Wollschläger (r.) spielt glaubwürdig den 17-jährigen Alan. Stefan Krause als Psychiater Martin Dysart ist sein Gegenpart.

Foto: Saskia Zeller

Wenn heutzutage ein Schauspieler auf der Bühne plötzlich nackt erscheint, sorgt dies höchstens für einen kurzen Moment der Überraschung. Die pure Körperlichkeit ist zu einem Medium für eine intimere Verbindung zwischen Darsteller und Publikum geworden. So stellt auch die Entkleidung Tobias Wollschlägers alias Alan Strang in "Equus – Blinde Pferde" im Theater am Schlachthof in erster Linie eine konsequente Fortsetzung der Gesamt-Entblätterung dar, um die es in dem bekannten Stück des britischen Dramatikers Sir Peter Shaffer geht.

Alan Strang ist 17 Jahre alt, arbeitet als Stallbursche und wird angeklagt, nachdem er sechs Pferden mit einem Hufkratzer die Augen ausgestochen hat. Der Psychiater Martin Dysart soll sich nun mit dem schüchternen Jungen befassen und herausfinden, wie es zu der ungeheuerlichen Tat kommen konnte.

Stefan Krause verkörpert in der modernen Inszenierung von Johann Wild glaubwürdig den müden und abgeklärten Seelenarzt, der sich zunächst ungern an den Fall heranwagt und zuletzt mehr persönliche Betroffenheit erfährt, als ihm lieb ist. Auch die anderen Darsteller – Anke Janssen als Jugendrichterin, Anja Jazeschann und Frank Baumstark als Alans Eltern und Laura Wieder als Alans Freundin Jill – erfüllen ihre Rollen mit der Portion Leben, die zur traumartig-spartanischen Inszenierung passt: aufgebracht, abwehrend, fordernd, jedoch niemals liebevoll oder verständig. Jeder von ihnen scheint unendlich allein, menschliche Inseln, die aneinander vorbeidriften.

Die einzelnen Szenen vor dem beängstigend psychotisch wirkenden Hintergrundbild eines stierenden Menschen-Pferdekopfes (Bühnenbild: Jeremy Piquet, Grafik: Felix Schulte-Frohlinde) fließen ineinander wie nasse Farben auf einer Leinwand; alle Figuren tragen rote Kleider, die der gesamten Szenerie eine Art aggressive Verletzlichkeit verleiht (Kostüme: Thomas von Döllen). Wollschläger spielt mit hervorragendem Rollenverständnis und offensichtlichem Spieltalent die Hauptfigur, die aus einem restriktiven Elternhaus stammt und die ersehnte Innigkeit bei den Pferden sucht. Diese werden für ihn zu angebeteten Gottheiten, und als die sexuelle Kontaktaufnahme zum Mädchen Jill misslingt, empfindet Alan Scham und Schuld gegenüber den verehrten Wesen, als habe er sie verraten. Schritt für Schritt wird das Innenleben des Jugendlichen entblößt, als werfe er nach und nach seine schützenden Kleider ab.

Tänzer Fernando Flores schwebt als Equus über die Bühne und unterstreicht auf diese Weise den mystischen Charakter des Stückes. Für die stimmige Choreographie zeichnet er selbst verantwortlich. Auch die von Andreas Steffens eigens für das Stück komponierte Musik trägt zum bedrückenden Ambiente bei, das den Theaterabend intensiv, aber zuweilen ein wenig schwerfällig werden lässt.

(NGZ)
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