Konzertreihe „Blue in Green“ in Neuss Alte Volkslieder im Jazz neu belebt

Neuss · Mit dem Begriff „Stubenjazz“ konnten wohl viele Fans der Jazzreihe „Blue in Green“ nichts anfangen, denn nur rund zwei Dutzend Zuhörer fanden sich im Saal der Alten Post ein. Tatsächlich kann dieser Begriff auch nicht definiert werden, aber Stubenjazz nennen Musiker aus Deutschland und der Schweiz, die rund um den Bodensee leben, ihre Musik abseits des Mainstreams: Sie verbinden traditionelles deutsches und schweizerisches Liedgut mit Jazz des 21. Jahrhunderts – aber bitte nicht zu viel!

 Trompeter Michael T. Otto (l.) hat das Ensemble Stubenjazz gegründet.

Trompeter Michael T. Otto (l.) hat das Ensemble Stubenjazz gegründet.

Foto: Gabrielle Otto

Gleich der erste Titel „Alleweil ein wenig lustig“ zeigte, wohin die Reise geht. Karin Streule, die außer mit ihrem Akkordeon mit markantem Gesang und ebensolchem Scat Singing die Lieder interpretierte, steuerte auch Appenzeller Volksmusik ihrer Heimat bei: „Anneli, wo bisch geschtern gse“. Da gab es auch perfekte Jodler.

Der Ensemblechef ist der deutsche Jazztrompeter Michael T. Otto, der – gerade 50 Jahre alt geworden – auch in Langenargen am Bodensee als Pädagoge arbeitet. Er spielt ein „Kuhlohorn“. Johannes Kuhlo hat um 1900 das Flügelhorn, den Sopran der Blechbläser, etwas runder und damit sanfter entwickelt. Michael T. Otto hat dieses Instrument in den Jazz eingeführt.

Von ihm stammen auch die meisten Arrangements und die virtuosesten Improvisationen. Dahinter mussten Uli Binetsch (Posaune) und Heiner Merk (Kontrabass) ein wenig zurückstecken. Uli Binetsch spielte seine Posaune bei „Nun ade, du mein lieb Heimatland“ im Hintergrund und machte dieses schöne Volkslied zu einer heiteren Collage.

„Ich sollt ein Nönnlein werden“: Die fünf Strophen des mittelalterlichen Liedes werden als schönster Choral begleitet, zwischen den Strophen wird faszinierend improvisiert. Beim „Sag mir, wo die Blumen sind“ spielt Andi Schnoz mit seiner Gitarre, deren Klangkörper er auch schon mal als Schlaginstrument nutzt, ein mitreißend schönes Solo. Von ihm stammte auch eine melancholische Ballade in räto-romanischer Sprache. Heiner Merk stimmt mit einem wunderbaren Kontrabass-Solo auf das seit 1870 bekannte Volkslied „Grün, grün, grün sind alle meine Kleider“ ein.

„Die einzige Boygroup in Deutschland, die eine Frau in ihrer Mitte hat“ (Michael T. Otto), beendete das Konzert in der Alten Post mit einem melancholischen Folksong aus der Schweiz. Damit das Finale nicht so traurig endete, gab es in der Zugabe ein vitales „Hejo, spann den Wagen an“. Die Zuhörer feierten das außergewöhnliche Ensemble für die erfrischend zeitgemäße Interpretation alter Volkslieder, vor allem aus Deutschland, aber auch aus der Schweiz. In ein Jazzgewand gehüllt, klangen sogar Jodler mit Echo wie feinster Scatgesang.

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