RLT Neuss Ein neues Leben im Rampenlicht

Neuss · Eine Woche lang findet im RLT das Zentrale Vorsprechen statt. Ein Besuch.

Auch chorisches Sprechen gehört zu den Situationen, die Absolventen wie Alicja Rosinski (1.Reihe. l.) und Jonny Hoffmann (r.) bewältigen müssen.

Auch chorisches Sprechen gehört zu den Situationen, die Absolventen wie Alicja Rosinski (1.Reihe. l.) und Jonny Hoffmann (r.) bewältigen müssen.

Foto: Frank-Uwe Orbons

Das schön gestaltete Bewerbungsheft beginnt so: „Mit großer Freude stelle ich Ihnen den AbsolventInnenjahrgang 2020 der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main vor.“ Das Heft liegt zusammen mit vielen weiteren im Foyer des RLT aus, wo sich diese Woche im Zwei-Stunden-Takt zahlreiche junge Darsteller die Klinke in die Hand drücken. Sie kommen aus Deutschland, auch aus Österreich und der Schweiz. Vier Jahre lang haben sie mit erfahrenen Lehrern ihren Körper und ihren Geist auf ein Leben im Rampenlicht vorbereitet.

Sie haben Theatersport geübt, Bühnengesang und Bühnenfechten. Vor ihrem ersten Rollenstudium haben die den „Kleinen Hay“ auswendig gelernt, jenes seit Generationen zirkulierende Kultbuch der Sprecherziehung. „Barbara saß nah am Abhang“ oder „Unter dunklen Uferulmen“, das ist lange her, denn jetzt stehen sie kurz vor ihrer Abschlussprüfung. Deshalb die Bewerbungshefte aus Bochum und Berlin, aus Leipzig und Potsdam, aus Hamburg, Bern und Graz. Dazu kommt noch ein dickes Buch, 500 Seiten stark, wo die Bundesagentur für Arbeit alle Absolventen des Jahrgangs 2020 auflistet.

Zum 15. Mal kommt der Dramaturg Volkmar Kampmann im Auftrag der Agentur nach Neuss an die Oberstraße. Als Mitveranstalter des zentralen Vorsprechens kennt er das RLT und dessen Studio im Untergeschoss. Genauso wie die Schauspieldirektoren verschiedener Theater, die hier regelmäßig nach neuen Talenten suchen Für viele der jungen Menschen aber, die mit Herzklopfen aus über zwanzig Städten anreisen, war Neuss bisher nur ein vager Begriff. Vielleicht nicht einmal das.

Als erste Gruppe tritt am Montagmorgen die Essener Folkwangschule ins Bühnenlicht. Die zehn Studierenden haben ein Programm vorbereitet, bei dem sich als Jahrgang und vor allem in Einzelrollen darstellen können. Viele klassische Texte sind dabei, von Friedrich Hebbel und Friedrich Schiller, von Hugo von Hofmannsthal und Bertolt Brecht. Eine von ihnen, Klara Eham, hat sich Kleists „Der Zerbrochene Krug“ vorgenommen, gleich mit den zwei entscheidenden Figuren des Dorfrichters Adam und der unschuldigen Eve. Es geht ganz schön unter die Haut, wenn der alte Lüstling seine Macht ausübt, um an das junge Fleisch zu kommen. Ähnlich bedrückend ist der Auftritt von Ansgar Sauren in der Rolle des Christian aus Thomas Vinterbergs Film „Das Fest“. Aber nach dem Kindermörder Jürgen Bartsch erlebt man auch Karl Valentins „Klagelied einer Wirtshaussemmel“ und Mizzi Meyers „Tatortreiniger“.

Plötzlich erscheint Supermann auf der Studiobühne. Es ist noch nicht 11.11 Uhr, aber immerhin der 11. November. Doch Jonny Hoff hat mit Karneval nichts im Sinn, er spricht Shakespeare, schwere Kost. Es ist die Begegnung des jungen Romeo mit Julia, und gerade hat er mit dem Satz „Sie hat das Licht zum Leuchten erst gebracht“ die Liebe auf den ersten Blick in ewig gültige Textform gegossen. Das war natürlich nicht seine Absicht, wie man an der abwegigen Kostümierung erkennt. Hoffs Kollegin Alicja Rosinski hat sich mit Kleists „Penthesilea“ nichts Leichteres vorgenommen.

Im „wahren Leben“ treiben ganz andere Themen die Beiden um. Wo wird man zu Beginn der nächsten Spielzeit ein neues Zuhause haben? Alicja hat seit vier Jahren eine Fernbeziehung nach Berlin, da wäre ein Umzug in die Hauptstadt natürlich ihr Traum. Beide Schauspieler geben sich aber dennoch völlig offen für Angebote im gesamten deutschsprachigen Raum. Vier lange Jahre haben sie mit ihren Jahrgangskollegen verbracht, das ist so eng wie Familie, und jetzt ein großer Abschied.

„Wir hoffen, durch unseren Auftritt hier mit den Theatermachern ins Gespräch zu kommen“, sagen Hoff und Rosinski. Nicht nur bei den Theatermachern. Am Folgetag sind sie zu einem wichtigen Gespräch mit „Castern“ geladen, auch in den Räumen des RLT. Caster sind die Leute, die bei Film und Fernsehen nach Vorgabe der Produzenten die Rollen besetzen. Auch wenn sie über riesige Namenslisten verfügen, für spannende Neuentdeckungen ist immer Platz. Im Anschluss an Neuss wird der ganze „Vorsprech-Zirkus“ weiter nach Berlin und dann nach München ziehen.

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