Neuss Ein Theater voller Chaoten

Neuss · Der Titel könnte nicht besser passen: Die RLT-Inszenierung von Antje Thoms ist wirklich "Der nackte Wahnsinn".

 Am Ende herrscht nur ein heilloses Durcheinander - auf der Bühne, vor der Bühne und hinter der Bühne.

Am Ende herrscht nur ein heilloses Durcheinander - auf der Bühne, vor der Bühne und hinter der Bühne.

Foto: Björn Hickmann

Frederick Fellowes muss natürlich auch die Pause nutzen, um auf der Bühne herumzuwuseln. Mit der Regieassistentin reden, da an einem Requisit zupfen, dort noch einmal den Weg abgehen. Seine Rolle als Philipp Brent in der Komödie "Nackte Tatsachen" verlangt ihm einiges ab, und er, der wie seine Kollegen nicht gerade die hellste Kerze auf der Geburtstagstorte ist, hat mehr als einmal sein Problem mit den Abläufen zugegeben. Ein Spiel im Spiel im Spiel ist diese Szene, an der nur die Pause im RLT echt ist. Das Publikum ist draußen im Foyer, die Bühne aber bleibt Bühne, und die RLT-Darsteller bleiben Schauspieler, die Schauspieler spielen, die ein Stück spielen.

Dass Stefan Schleue so gut so schlecht spielen kann! Und Philipp Alfons Heitmann auch. Und Hergard Engert, und Johanna Freya Iacono-Sembritzki, und Juliane Pempelfort. Und Joachim Berger erst! Knallchargen sind sie - zumindest in ihren Rollen als Schauspieler Fellowes, Garry Lejeune, Dotty Otley, Brooke Ashton, Belinda Blair und Selsdon Mowbray in Michael Frayns Komödie "Der nackte Wahnsinn".

Klingt kompliziert und ist es auch. Die wahre Regisseurin Antje Thoms macht es nicht leichter, indem sie in dieses Stück mit doppeltem Boden noch eine dritte Ebene einzieht, die auf das reale Abstecher-Theater RLT abzielt. So geht diese Truppe um den schwer genervten Regisseur Lloyd Dallas (Richard Lingscheidt) und seine beiden fast stoischen Mitarbeiter Poppy (Alina Wolff) und Tim (Pablo Guaneme Pinilla) auf Tournee nach Neuss, Radevormwald oder Heinsberg und nicht durch die englische Provinz.

Auch wenn das bei einem Stück, das im Theater spielt, gerade zu einem Landestheater passt - es ist ein Dreh zu viel. Frayns prächtige Persiflage auf die Tür-auf-Tür-zu-Boulevardkomödie mit großem Wirrwarr um verschwundene und wieder auftauchende Sardinen-Teller und ein bisschen Erotik (deswegen "Nackte Tatsachen") korrespondiert in der Vorlage genial mit dem, was sich hinter den Kulissen abspielt und mit "Wahnsinn" noch untertrieben ist.

Das ist wahrlich genug, zumal da das Stück sehr klug gebaut ist. Immer geht es um den ersten Akt der Komödie in der Komödie - deren erste Hälfte eine Probe zeigt und die spielenden Schauspieler einführt. In der zweiten Hälfte ist die Truppe auf Tournee, der erste Akt läuft gewissermaßen mit dem Rücken zum realen Publikum, denn dessen Sicht richtet sich auf die privaten Dramen hinter den Kulissen, die von Eifersucht, Alkoholismus und Überempfindlichkeit bestimmt werden. Wortlos spielen die sich ab - unter dem rot leuchten "Ruhe"-Schild. Also rutschen, gestikulieren und mimen Schleue und seine Kollegen, was das Zeug hält. Das geht alles fürchterlich schnell, weil jeder auf sein Stichwort ja nach "vorn" stürmen muss. Da kann man schon mal den Überblick verlieren.

Und es ist einfach zu viel des Guten. Thoms' Inszenierung will auf Teufel komm raus lustig sein, lässt keine Nuancierungen zu. Die Vorlage hätte ihr Möglichkeiten geliefert, denn Frayns Figuren sind hinter den "Nackten Tatsachen" nicht nur Deppen, sondern Menschen. Und Frayns Schluss - die Spieler zerren den roten Vorhang runter - ist auch logischer.

(hbm)
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