Neuss Ein tänzerischer Hochgenuss

Neuss · Mit minutenlangem Beifall und einem vor Begeisterung tobenden Publikum endete das Gastspiel von "Les Ballets Jazz de Montreal" bei den Tanzwochen.

 Mit Barak Marschalls Arbeit "Harry" lässt die kanadische Company den Swing der 1970er Jahre wieder aufleben.

Mit Barak Marschalls Arbeit "Harry" lässt die kanadische Company den Swing der 1970er Jahre wieder aufleben.

Foto: Ignio Cereminga

Die fabelhafte Compagnie "Les Ballets Jazz de Montreal" gastierte nach 2007 ein zweites Mal bei den Internationalen Tanzwochen Neuss und bereicherte das Festival durch einen neuen Höhepunkt. "Harry", das erste Stück des dreiteiligen Abends, huldigt der Tradition der Truppe, den Swing der 1970er-Jahre auf der Bühne lustvoll zu perfektionieren. In beschwingten 45 Minuten klingt ein ganzes Dutzend musikalischer Werke an. Und siehe da, Tommy Dorsey und Balkan Beat Box, The Andrew Sisters und Maria Callas - sie alle vertragen sich prächtig.

Hörte man nur den Soundtrack zu "Harry", diese wunderbare Mischung aus Folk, Jazz und Klassik, man wäre sofort süchtig danach. Und nun stelle man sich das Ganze als getanzten und gespielten Bilderbogen vor: ein Hochgenuss. Der israelisch-amerikanische Choreograph Barak Marschall erzählt in dem 2012 uraufgeführten Ballett die Geschichte eines Mannes, dessen Leben als ewiger Kampf erscheint. Innere Konflikte müssen überwunden, widersprüchliche Kräfte ausbalanciert werden. Fröhliche Sequenzen wechseln ab mit düsteren Momenten des Schreckens. Einige Male wiederholt sich die Szene, in der die Hauptfigur scheinbar zu Tode kommt und betrauert wird, begleitet von Donnergrollen und prasselndem Regen. Aus zerplatzenden roten Luftballons werden Schießgewehre. Soldatenstiefel marschieren, es ist Krieg, die Welt zerbricht. Zum Glück rappelt sich der blond bezopfte Tänzer jedes Mal wieder vom Boden auf und federt springlebendig davon. Und schon geht weiter, mit schmelzendem Blues oder dem Sirtaki aus "Zorbas", der hier zum Triumph der starken Frauen wird.

Nur acht Minuten dauert "Mono Lisa". Acht Minuten, in denen mehrfach ein hörbares Raunen durchs Publikum geht. Dieser Pas de deux ist buchstäblich atemberaubend. Die biegsame Céline Cassone zeigt kaum fassbare Sprünge und Verdrehungen. Ein amerikanischer Kritiker attestierte der Französin "Gummiknochen und Propellerbeine". Ihr leuchtend rotes Haar flattert, wenn ihr athletischer Partner Alexander Hille sie umherschleudert, als wär's eine akrobatische Zirkusnummer. Der Israeli Itzik Galili choreografierte das Stück 2015 fürs Stuttgarter Ballett. Mit Thomas Hofe zeichnet er auch für die Musik verantwortlich. Musik? Eigentlich sind es nur Geräusche, die ihren Rhythmus finden. Stakkato-Gehämmer auf der Schreibmaschine, ein permanentes Knarren, Scharren, Wischen und Ächzen.

"Les Ballets Jazz du Montreal" wurde 1972 als Modern-Dance-Company gegründet. Doch die Kanadier besinnen sich immer wieder auf klassische Elemente und bauen sie respektvoll ein. So auch in "Kosmos" von Andonis Foniadakis (2014). Wie eine wilde Herde springen und robben die Tänzer über die spärlich ausgeleuchtete Bühne, ekstatisch angestachelt von der Musik von Julien Tarride. Ein archaischer Strudel, ein Stampfen und Peitschen, dass einem schwindelig wird. Momente des Innehaltens gönnt einem die Compagnie lange Zeit nicht. Gegen Ende der 35-minütigen Performance verwandeln sich die Tänzer durch raffinierte Technik in funkelnde Silhouetten, die sich schemenhaft aufeinander zu bewegen - wie Wesen aus einer anderen Welt.

Ein letzter leiser Klang. Dann wird es laut, denn jetzt toben die Zuschauer vor Begeisterung und klatschen minutenlang.

(NGZ)
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