Neuss Ein liebenswerter Holzkopf auf Abwegen

Neuss · Jubel zur Premiere von "Pinocchio" am Rheinischen Landestheater. Das traditionelle Weihnachtsstück für die ganze Familie begeisterte.

Im Foyer wird gekichert und getobt, die Damen tragen rosa Spängchen in den Haaren und die Herren sportliche Kapuzenpullis. Der ein oder andere hat einen Freund an der Hand: den Kuschelhasen oder die Stoffente. Gestern feierte das traditionelle Weihnachtsstück für die Familie Premiere am Rheinischen Landestheater. Und viele Kinder waren mit Mama, Papa oder Großeltern gekommen, um Pinocchio bei seinen Abenteuern zu begleiten.

Und sofort geht es richtig komisch los: Pinocchio erwacht zum Leben. Seine Beine, seine Arme, sein Kopf — alles ist aus Holz. Und so tapert er ungelenk und steif über die Bühne, fällt über seine eigenen Beine, verdreht seine Arme und kugelt sich. Natürlich hat Richard Erben, der die Titelfigur verkörpert, damit direkt die ersten Jauchzer auf seiner Seite

. Und die gehen in ein schallendes Lachen über, als der kurzsichtige Meister Geppetto (Michael Putschli) verzweifelt seine Holzpuppe sucht. Was die Kinder längst schon wissen: Pinocchio lebt, spricht und ist ein ganz schön aufsässiges Kerlchen. So lässt denn auch die erste Lüge nicht lange auf sich warten: Die Holznase im Gesicht von Schauspieler Richard Erben wird immer länger — und der kleine Holzjunge ist schnell als Schwindler entlarvt.

Pinocchios größter Wunsch ist es, erwachsen zu sein und ein richtiger Junge aus Fleisch und Blut zu werden — dafür soll er in die Schule gehen. Damit er sich ein Schulbuch kaufen kann, gibt Geppetto ihm sein Schnitzmesser — "aber du brauchst auch einen Schultornister", ruft ein Mädchen aus dem Publikum aufgeregt. Doch statt in die Schule geht Pinocchio lieber ins Puppentheater. Dort wartet das böse Krokodil, ein ganz schön fieser Finsterling, der sogar den armen Kasper verbrennen möchte. Aufruhr im jungen Publikum, jetzt werden die Stoffhasen ganz fest gedrückt.

Aber keine Sorge: Pinocchio beschützt Kasper und erhält dafür fünf Goldstücke. Doch anstatt mit diesen schnell nach Hause zu seinem armen Papa zu laufen, fällt der Holzjunge auf falsche Freunde rein, bezahlt Wucherpreise, lässt sich ausrauben und prahlt mit seinem Geld — schnell ist es weg. Immer wieder lässt sich Pinocchio vom Weg in die Schule ablenken, hüpft lieber auf bunten Bällen ins Schlaraffen-Spielzeug-Süßigkeiten-Wunderland — bis er schließlich allein und reumütig im Bauch eines Wals landet. Am Ende ist natürlich alles gut: Alle im Publikum haben mit einem lauten Gähnen den Wal zum Öffnen seines Mauls gebracht, die Nase ist wieder kurz und Pinocchio ein richtiger Junge.

Regisseur Joerg Bitterich hat in seiner Version von Carlo Collodis Klassiker auf zu viele Requisiten verzichtet, die Bühne ist aufgeräumt und die Kostüme einfach. Mehr braucht es nicht, das junge Publikum ist auch so gefangen. Für die vielen erwachsenen Zuschauer hätte man sich mehr intelligenten Witz neben all dem Slapstick gewünscht — so wäre das Stück wirklich eines für die ganze Familie. Dass das funktioniert, zeigen andere Häuser in der Region.

(NGZ)
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