Neuss Eifersüchtig auf das Neusser Publikum

Neuss · Seit vielen Jahren kommt Patrick Spottiswoode zu seinen "Lectures" ins Neusser Globe. Auch jetzt ist er dabei.

 Patrick Spottiswoode im Globe Neuss.

Patrick Spottiswoode im Globe Neuss.

Foto: Maurice Kaufmann

"Titus Andronicus" ist nicht nur ein eher selten gespieltes Stück aus dem Theaterkosmos von William Shakespeare und schon deswegen eine Besonderheit im aktuellen Festivalprogramm an der Rennbahn, sondern mehr noch, weil es in einer ungewöhnlichen Inszenierung und einer in unseren Breiten ungewöhnlichen Sprache im Globe zu erleben ist. Die Arbeit des Tang-Shu-Wing Theatre Studio aus Hongkong ist ebenso ein Exot im Neusser Spielplan wie die Fassung der Komödie "As you like it" des georgischen Kote Marjanishvili State Drama Theatre aus Tiflis.

Beide bescheren Aha-Erlebnisse, sagt einer, der es wissen muss. Patrick Spottiswoode hat beide Aufführungen schon gesehen: "Ich war wahnsinnig begeistert, als ich hörte, dass Rainer Wiertz sie für Neuss verpflichtet hat." Der Direktor des Educational Departement des Londoner Globe ist dank seiner "Lectures" über Shakespeare in Neuss längst eine Kulturfigur, hat beide Gruppen im eigenen Globe erlebt, weil sie im Rahmen des olympischen Kulturprogramms unter dem Motto "From Globe to Globe" an der Themse zu Gast waren. "Die Aufführungen bieten eine faszinierende Gelegenheit, zu erleben, wie verschiedene Kulturen und Sprachen Shakespeare interpretieren", erzählt er. Und: Die Aufführungen würden sich unglaublich voneinander unterschieden. Das Neusser Festival ist für ihn genau der richtige Ort, dies zu zeigen, weil es in Sachen Internationalität von Shakespeare längst eine geistige Führungsrolle innehabe.

"Im Grunde", so sagt er, "bin ich fast eifersüchtig, dass das Neusser Publikum zwei so starke und wunderbare Aufführungen sehen kann und ich nicht." Was ihn an der Hongkonger Inszenierung begeistert, ist der minimale Ansatz. "Sie ist sehr pur, erzählt sehr stringent die Geschichte vor allem über die Schauspieler", sagt er und findet dann in dem ihm typischen Sprachmix das deutsche Wort: "Like pure Bauhaus!" (Und meint damit kein Schnickschnack, kein Schnörkel.)

Das reine Gegenteil dazu sei die Aufführung aus Tiflis. "As you like it" sei natürlich eine Komödie, aber in dieser Inszenierung eine besonders quirlige und durchgestylte dazu. "Wild und farbig." Viele Mittel brauchten die Schauspieler auch nicht, aber sie zeigten eine überbordende Spielfreude und unglaubliche Fantasie.

Beide Aufführungen werden übertitelt, so dass der Inhalt jedem Zuschauer vertraut gemacht wird. Und nach Spottiswoodes Meinung reicht das auch. Die Komödie rund um das Liebespaar Orlando und Rosamund sei zwar mit Sicherheit bekannter als "Titus Andronicus", aber: "Man muss kein Kantonesisch können, um ,Titus' zu verstehen. Kann ich auch nicht." Beide Stücke, machten sich über das Spiel und über die Bilder verständlich. Wenn Patrick Spottiswoode zu seiner Lecture nach Neuss kommt, sind beide Produktionen aber schon abgespielt. Zum ersten Mal wird er übrigens nachmittags keine Vorstellung anbieten. So ganz glücklich sei er mit den Nachmittagsvorstellungen nie gewesen, gibt der Engländer zu und schiebt den nicht ganz ernst gemeinten Grund nach: "Vielleicht, weil ich früh wach sein musste ..."

Nein, "G 8" (spricht er natürlich deutsch aus) sei das Problem. "Die Schüler sind jünger, wenn sie mit Shakespeare das erste Mal in Berührung kommen", sagt er. Das mache es emotional, aber auch sprachlich schwieriger, seinen "Lectures" zu folgen. Die vergangenen zwei Jahre hätten ihm gezeigt, dass es schwieriger geworden sei, die jungen Schüler einzufangen. "Wenn sie in die Schule gehen, erwarten sie Unterricht. Wenn sie ins Theater gehen, Theater. Bei mir gibt es weder das eine noch das andere." Es bleibe seine Mission, junge Menschen für Shakespeare zu begeistern, betont er, aber setzt doch lieber auf ein wenig ältere. Auch mit Blick in den Spiegel: "Denn vor einigen Jahren war ich noch ein Onkel für die Schüler, heute bin ich ein Großvater für sie." Ob er sein Programm für die Abendvorstellungen ändern wird, weiß er noch nicht: "Ich reagiere auf mein Publikum."

(NGZ)
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