Strukturwandel Die Kohle ist ein Wunderwerk der Natur

Die Grevenbroicher Firma Humintech entwickelt aus Braunkohle Dünger und andere Wertstoffe.

Berthold Stern aus Grevenbroich ist fasziniert von der Braunkohle. An seinem Arbeitsplatz beschäftigt sich der Ingenieur tagtäglich mit der Materie, die dem Rheinischen Braunkohlerevier seinen Namen gab. Aber es käme dem diplomierten Chemiker niemals in den Sinn, diese Braunkohle zu verbrennen. „Die Braunkohle ist so werthaltig, dass eine Verbrennung aufgrund der CO2-Emmissionen auf Dauer die ungünstigste aller Nutzungsmöglichkeiten ist“, sagt der Mann, der sein Büro direkt neben dem Tagebau Garzweiler hat.

Stern ist bei der Firma Humintech beschäftigt. Sie hat sich seit Jahren mit der stofflichen Nutzung der Braunkohle auf die Fahne geschrieben. „Wir sind ein Forschungs- und Entwicklungsunternehmen“, sagt Stern, der als Mann der ersten Stunde seit der Firmengründung durch Müfit Tarhan und Aydogan Cengiz in dem Betrieb tätig ist. Nicht nur die Verbrennung der Braunkohle ist für Stern und seine Kollegen bei Humintech kein Thema. Auch die Verflüssigung oder die Herstellung von Kohlenwasserstoffen aus dem braunen Gold spielt für die Firma keine Rolle. Erdgas und Erdöl seien bisher wirtschaftlich unschlagbare Konkurrenten für etwaige Ersatzprodukte aus dem Stoff, dessen landschaftszerstörende Gewinnung ungewiss ist. Die Nutzung der Braunkohle zur Verstromung steht zumindest mittelfristig vor dem Aus – und damit auch der Tagebau und die Kraftwerke.

„Das muss aber nicht zwangsläufig das Ende der Braunkohle sein“, meint Stern. Im Gegenteil, es gebe viele Anwendungsfelder für das Naturprodukt. Seine Inhaltsstoffe machen es so wertvoll, vornehmlich die Huminstoffe, die in vielen Bereichen des Lebens unabdingbar sind. Bei Futtermitteln, bei Düngern, bei der Bodenverbesserung spielen sie im natürlichen Kreislauf eine wichtige Rolle. Das hört sich dann plakativ an, wenn Stern liest: Braunkohle aus Grevenbroich lässt Wüsten blühen. So weit will er nicht gehen. „Wir tragen dazu bei, dass die Fruchtbarkeit von Böden zunimmt.“ Im Prinzip geben die Huminstoffe den Böden einen Anschub zur Regeneration; zum einen durch die chemischen, zum anderen durch die physikalischen Eigenschaften: Die chemische Zusammensetzung wird verbessert, weil ursprünglich im Erdreich vorhandene Stoffe hinzugefügt werden, zugleich sind die Huminstoffe in der Lage, Wasser und Nährstoffe zu binden und Schadstoffe zu immobilisieren.

Ein Wunderwerk sei dies nicht. Das sei pure Natur. „Warum sollen wir mit hohen finanziellen und energetischen Aufwand Bodenverbesserer künstlich herstellen, wenn wir sie kostengünstig und problemlos aus der Natur beziehen können?“, stellt Stern eine eher rhetorische Frage. Kopfschütteln ernten bei ihm die mit Millionen Euro geförderten Forschungsprogramme der Öffentlichen Hand zur Erforschung und Gewinnung von synthetischen Kohlen.

„Wir haben sie längst“, sagt er. „Wir verfügen über natürliche Huminstoffe und stellen auf dieser Grundlage unsere Produkte schon seit 2013 in Grevenbroich her. In 70 Länder weltweit werden die Produkte von Humintech inzwischen exportiert. Ihr großer Vorteil: Sie sind CO2-neutral, tragen somit weder zur Klimaerhöhung noch zur Feinstaubbelastung bei. 46 Mitarbeiter sind derzeit in Grevenbroich beschäftigt. Bei einem Jahresumsatz von rund zwölf Millionen Euro ist das Unternehmen auf Wachstum ausgerichtet.

Durch den Zugang zur Braunkohle verfügt Humintech über Huminstoffe, die das Unternehmen zur Herstellung seiner Produkte benötigt, nicht zuletzt deshalb befindet sich der Firmensitz auch direkt neben der RWE-Betriebsstelle Garzweiler. „Am liebsten sind uns die oberflächennahen, stark verwitterten Braunkohlen“, erläutert Stern. Diese Kohle erhalte hohe Huminsäuregehalte und sei zugleich für die Verbrennung am unattraktivsten. Sein Unternehmen sei stets auf der Suche nach diesen Braunkohlen. Insofern hat für Humintech die Braunkohle durchaus eine Zukunft, fernab von Tagebau-Betrieben oder Kraftwerken. „Wir werden in Zukunft voraussichtlich einen derart großflächigen Braunkohle-Abbau nicht mehr benötigen. Dennoch profitieren wir derzeit davon eindeutig, da für uns hierdurch - Dank der Unterstützung von RWE - die Möglichkeit besteht, schon jetzt die besten Vorkommen für die huminstoffliche Nutzung zu ermitteln“, sagt Stern. RWE selbst zeige mittlerweile auch ein verstärktes Interesse an alternativen Nutzungsmöglichkeiten.

„Wenn uns die Politik den direkten Zugang zum Rohstoff ermöglicht, werden uns künftig Gruben reichen, die nicht größer sind als Kiesgruben.“ Eine Aussage, die in Anbetracht der Zahlen verständlich ist: Der Jahresbedarf von Humintech an Braunkohle dürfte in absehbarer Zeit kaum die Menge von 100.000 Tonnen übersteigen. Im Vergleich dazu liefern die drei Tagebaue im Revier für die Verstromung derzeit jährlich rund 90 Millionen Tonnen.

„Für uns hat die Braunkohle durchaus eine Zukunft, für uns ist damit auch der Wirtschaftsstandort Grevenbroich zukunftsträchtig. Wenn uns die Politik auch in Zukunft den erforderlichen Zugang zum Rohstoff ermöglicht, können wir unseren Beitrag zum Strukturwandel der Region leisten, auch ohne großflächigen Tagebau.“ Davon ist Stern überzeugt, und davon ist offenbar auch die IRR angetan, die Humintech als eines der Vorzeigeprojekte präsentiert.

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