Interview mit Udo Fischer DGB fordert Solidarität in der Corona-Krise

Neuss · Die Maikundgebung wurde wegen des Virus abgesagt. Gewerkschaften warnen davor, in der Krise Arbeitnehmerrechte zu beschneiden.

 Schon bei Maikundgebungen in vergangenen Jahren wurde die Bedeutung der Solidarität unterstrichen. Das gilt in Zeiten der Corona-Krise besonders, auch wenn die Kundgebung in diesem Jahr ausfallen muss.

Schon bei Maikundgebungen in vergangenen Jahren wurde die Bedeutung der Solidarität unterstrichen. Das gilt in Zeiten der Corona-Krise besonders, auch wenn die Kundgebung in diesem Jahr ausfallen muss.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Herr Fischer, der DGB hat frühzeitig die Mai-Kundgebung 2020 abgesagt, dabei gäbe es doch in Zeiten von Kurzarbeit und drohenden Firmenpleiten viel anzumerken, oder täusche ich mich?

Udo Fischer Sicher, aber viel wichtiger ist, dass jetzt alle diszipliniert bleiben, die Auflagen der Gesundheitsbehörden beachten und wir diese Zeit schnell hinter uns lassen. Das ist jetzt allesentscheidend. Für die Wirtschaft, für jeden einzelnen Beschäftigten. Und deshalb haben wir diese in der Geschichte der Arbeiterbewegung bislang einmalige Entscheidung getroffen und die Maikundgebung abgesagt. Schweren Herzens - das können Sie mir glauben.

 Der ehemalige Polizist Udo Fischer führt den Kreisverband des DGB.

Der ehemalige Polizist Udo Fischer führt den Kreisverband des DGB.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Die Sorgen sind groß, kaum ein Berufsverband, der nicht schon nach staatlicher Hilfe ruft. Fordert auch der DGB Rettungsschirme in unterschiedlichen Größen?

Fischer Das läuft doch schon. Die Kommunen zeigen sich großzügig, und insgesamt wird viel Geld locker gemacht, um die Folgen dieser Sondersituation abzumildern. In dieses Horn müssen wir Gewerkschafter nicht auch noch stoßen. Was wir fordern ist Solidarität. Und wir wissen: Solidarisch ist man nicht alleine. Das wäre auch das Kundgebungsmotto in diesem Jahr gewesen. Komischer Zufall, oder?

Warum?

Fischer Weil es im Großen wie im Kleinen passt. Schauen wir auf Europa, um in großem Maßstab anzufangen, müssen wir erkennen: Das Virus kennt keine Grenzen. Deshalb müssen die Regierungen in der Europäischen Union zusammenarbeiten. Daraus folgt für mich: Der Kampf gegen das Virus darf nicht Nationalisten in die Hände spielen und zum Spaltpilz der EU werden. Das dürfen wir nicht zulassen. Nationalismus ist kein Ratgeber in der Krise.

Und im Kleinen.....?

Fischer... ist auch Ihre Zeitung jeden Tag voll von Beispielen gelebter Solidarität. Nachbarschaftshilfen entstehen. Jugendorganisationen helfen Kranken und Alten. Künstler zeigen ihre Arbeit im Netz. Museen eröffnen virtuell.  Schulen entwickeln innovative Lehrmethoden. Aber zu beobachten ist auch, dass Betriebe  ihre Produktion auf Dinge umstellen, die in der Krise gebraucht werden. Das alles zeigt doch, was für Potenziale in dieser Gesellschaft schlummern und mobilisiert werden können.

Das sind sicher Mutmacher. Aber daneben gibt es auch echte Existenzangst. Gibt es Familien, die nicht wissen, wie sie Job und Kinderbetreuung unter einen Hut bekommen, weil noch auf Wochen hinaus Kitas und Schulen geschlossen bleiben. Was sagen Sie denen?

Fischer Dass wir an ihrer Seite sind. Wir sind nicht blind gegenüber dieser Situation, die uns alle extrem fordert, und wir sehen auch die Risiken dieser Situation. Deshalb die klare Ansage: Wir müssen dafür sorgen, dass Arbeitsplätze und damit Einkommen gesichert bleiben. Das heißt auch: Wir warnen die Arbeitgeber vor jedem Versuch, die Situation zu missbrauchen und Arbeitnehmerrechte zu beschneiden.

Das wird jenen vielleicht im Moment weniger wichtig sein als die durch Kurzarbeit nur noch zu 60 Prozent gefüllte Lohntüte.

Fischer Kurzarbeitergeld ist in der Tat ein Einschnitt, den die Betroffenen schmerzlich spüren. Aber es hilft auch, diese Menschen in Beschäftigung zu halten.

Neben denen, die auf Kurzarbeit gesetzt oder ins Home-Office geschickt werden gibt es auch die, die raus müssen. An die Front, sozusagen. Möchten Sie mit denen tauschen?

Fischer Ich war ja draußen. Ich war Polizist. Und glauben Sie mir: Vor denen, die in der Krise unsere Versorgung gewährleisten und die öffentliche Sicherheit schützen, ziehe ich den Hut. Vor jedem einzelnen – vom  Arzt bis zum Busfahrer, von der Polizistin bis zum Müllmann oder der Kassiererin im Supermarkt. Ihre Arbeit muss angemessen gewürdigt werden. Auch finanziell. Auch das meint Solidarität.

Sie haben schon darauf hingewiesen: Die Situation ist einmalig. Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Verantwortlichen auf allen Ebenen?

Fischer Gar nicht. Für diese Lage gab es keine Blaupause. Deshalb werden wir erst im Nachhinein feststellen, welche Fehler gemacht wurden. Dass wir in der Rückschau welche finden, das glaube ich allerdings bestimmt.

Wagen wir gemeinsam den Blick in die Glaskugel: Wie lange dauert die Krise?

Fischer Wer kann das wissen. Ich halte es deshalb beim Abschied inzwischen wie der brave Soldat Schweijk: „Bis nach Corona, um halb sechs - im Dom“.

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