Tanju Aygün "Der Wettbewerb der Discounter ist hart"

Neuss · Die Neusser EUFH hat den Handelsexperten Tanju Aygün zum Professor berufen. Der Wissenschaftler ist ein Experte aus der Praxis.

 Der Druck im Einzelhandel ist für die Beschäftigten groß. Nur wer hocheffizient arbeitet, kann angesichts geringer Margen Gewinne einfahren.

Der Druck im Einzelhandel ist für die Beschäftigten groß. Nur wer hocheffizient arbeitet, kann angesichts geringer Margen Gewinne einfahren.

Foto: reuter (archiv)

Herr Aygün, Sie sind Professor, aber auch Praxis-Experte. Was meinen Sie: Ist der Discounter tatsächlich immer der billigste Anbieter?

Tanju Aygün Das ist eine gängige Meinung, doch sie ist falsch. Vergleicht man die Preise der Eigenmarken aus Discountern und regulären Supermärkten, liegt der Preisunterschied bei kleineren Cent-Beträgen. Dass die Supermarktpreise dennoch höher eingeschätzt werden, hat mit dem Kaufverhalten zu tun. Denn während der Discounter im Großteil nur auf Eigenmarken setzt — und der Einkauf entsprechend günstig bleibt — verführt der reguläre Supermarkt den Kunden dazu, auch Markenware einzukaufen. Die ist natürlich teurer, und so entsteht beim Kunden der Eindruck, es herrschten unterschiedliche Preise.

Woher kommt der Trend, dass auch die Discounter verstärkt auf Markenware setzen?

Aygün Das liegt daran, dass die Discounter junge Zielgruppen an sich binden wollen, etwa Familien, bei denen am Frühstückstisch eine bestimmte Nuss-Nougat-Creme nicht fehlen darf. Es ist eine Weiterentwicklung des Sortiments — denn auf Handelsmarken verzichten die Märkte im Gegenzug nicht.

Ein weiterer Trend zeichnet sich im Rhein-Kreis ab: Wenn Gewerbegrundstücke frei werden, drängen Lebensmittelmärkte auf die Flächen. Warum dieser Boom?

Aygün Vor allem die Anzahl der Discounter ist in den vergangenen Jahren extrem gestiegen. Entsprechend groß ist die Flächennachfrage. Hauptgrund ist der harte Wettbewerb auf dem deutschen Markt, der zu einem Verdrängungskampf führt nach dem Motto: "Nehme ich die Fläche nicht, schnappt sie mir der Konkurrent weg". Hinzu kommt, dass ein größeres Filialnetz mehr Umsatz verspricht und damit die Möglichkeit, die Preise im Einkauf zu drücken. Allerdings lässt sich diese Expansion nicht unendlich fortführen, es gibt Kannibalisierungseffekte, wenn sich die zu dicht beieinanderstehenden Märkte gegenseitig die Kundschaft streitig machen.

Gleichzeitig kämpfen gerade kleinere Orte, auch im Rhein-Kreis, um ihre Zentren — warum zieht es den Lebensmittelhandel stets auf die "grüne Wiese"?

Aygün Weil sie viele Vorteile hat, etwa günstige Mietpreise, genügend Parkraum und ein breiteres Einzugsgebiet für die Kunden, die hohe Umsätze bringen, weil sie nicht — wie in der City — im Vorbeigehen schnell etwas einkaufen, sondern gleich ihren Wocheneinkauf dort erledigen. Andererseits sind Innenstadtlagen auch für Discounter attraktiv, sofern die Kundenzahlen hoch und die Mietpreise akzeptabel sind. Letztlich bestimmen der erwartete Umsatz und die Kostensituation den Standort.

Sie hatten vor Ihrem Wechsel in die Forschung bei einem Discounter Verantwortung für einen Bezirk mit acht Filialen und 80 Mitarbeitern. Wie hoch war der Druck?

Aygün Natürlich war das kein regulärer Acht-Stunden-Tag, aber den hätte ein Mittelständler mit so vielen Mitarbeitern wohl auch nicht. Wichtig war, stets gut organisiert zu sein, Effizienz ist das wichtigste Ziel meiner Arbeit gewesen. Denn nur, wenn Abläufe reibungslos funktionieren, kann ein Geschäft, das zwar große Umsätze macht, aber nur geringe Margen einfährt, Gewinne machen.

Gerade die Discounter haben als Arbeitgeber einen schlechten Ruf — so werden sie immer wieder wegen ihrer Videoüberwachung kritisiert.

Aygün Dabei bin ich überzeugt, dass es keinem Discounter Spaß macht, die eigenen Mitarbeiter zu überwachen. In den meisten Unternehmen gibt es klare Richtlinien, ab welchem Verdachtsmoment eine Überwachung erlaubt wird. Dass Lebensmittelmärkte sogenannte Inventurverluste durch Mitarbeiter haben, kommt durchaus vor. Ich habe das selbst in einem besonders krassen Fall erlebt: In einer meiner Filialen stahl ein Mitarbeiter alkoholische Getränke im Wert von mehreren Tausend Euro. Er hatte sie samt Palette von der Laderampe in einen Kleinbus verfrachtet. Davor müssen sich die Unternehmen schützen — ob das immer durch Videoüberwachung geschehen muss, darüber lässt sich streiten.

Weiterer Kritikpunkt, gerade wenn es um Discounter geht, die ist das Fehlen von Betriebsräten.

Aygün Dabei wird die Struktur der Unternehmen übersehen. Natürlich ist es leichter, in einem mittelständischen Industrieunternehmen mit 300 Mitarbeitern eine Arbeitnehmervertretung zu gründen, als in einer Discounterfiliale mit zehn Angestellten, von denen die Hälfte teilzeitbeschäftigt ist.

Heute ist es normal, auch im Internet einzukaufen. Warum funktioniert das bei Lebensmitteln noch nicht?

Aygün Es ist eine Kostenfrage und eine Frage der Logistik. Die Margen im Lebensmitteleinzelhandel liegen bei 1,5 Prozent. Das heißt, auf 100 Euro Umsatz kommt ein Gewinn von 1,50 Euro. Bei einer Lieferung, die auch noch die Kühlkette einhalten muss, kann das für die Händler nur Verluste bedeuten. Dennoch erkennen viele Einzelhändler die Chancen des Online-Geschäfts. Denn während der reguläre Markt stagniert, ist dort Wachstum zu erwarten. Derzeit liegt der Online-Anteil im Lebensmittelhandel bei unter einem Prozent. Das ist steigerungsfähig.

Welchen Strategie-Tipp würden Sie einem stationären Einzelhändler aus dem Rhein-Kreis geben, der ins Online-Geschäft einsteigen möchte?

Aygün Vor allem sollte er zunächst seine Kunden genau kennen, denn das ist der Knackpunkt: Viele Einzelhändler sind zwar Experten für ihre Produkte, kennen aber ihre Kundschaft nur aus Einschätzungen, sie sparen sich gezielte Befragungen. Doch nur, wenn sie die Bedürfnisse ihrer Kundschaft genau kennen, wissen sie auch, ob das Online-Angebot ein sinnvolles Zusatzgeschäft sein kann. Daher rate ich zu gezielten Erhebungen im Laden.

Veränderungen im Einzelhandel gehören zu Ihrem Spezialgebiet. Was sind Ihre nächsten Forschungsvorhaben?

Aygün Wir wollen uns in der EUFH fachübergreifend dem Management des demografischen Wandels widmen. Das ist ein Thema, das auch den Handel direkt angeht — unsere Partnerfirmen aus dem Rhein-Kreis haben für dieses Forschungsvorhaben auch schon Interesse signalisiert.

HANNA KOCH FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(NGZ/ac)
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