Neuss Der Schriftsteller und sein Vorleser

Neuss · Arjan Visser stellte beim Literarischen Sommer seinen Roman "Der blaue Vogel kehrt zurück" vor. Stefan Filipiak hat vorgelesen.

 Der Autor und sein Vorleser: Arjan Visser aus den Niederlanden (l.) mit Schauspieler Stefan Filipiak aus Düsseldorf.

Der Autor und sein Vorleser: Arjan Visser aus den Niederlanden (l.) mit Schauspieler Stefan Filipiak aus Düsseldorf.

Foto: Andreas Woitschützke

Sie könnten auch Brüder sein. Äußerlich betrachtet. Beide tragen den Schädel kahlrasiert, den Bart in Dreitage-Länge. Beide sind locker gekleidet. Wenn sie sich ein Wort zuwerfen, geht das fast ohne merkliche Bewegung des Körpers. Und beide sind Künstler.

Der eine ist in den Niederlanden bekannt, der andere in hiesigen Breiten. Ein Buch und ein Termin haben sie zusammengeführt, denn der Schauspieler, Regisseur und Autor Stefan Filipiak liest für Arjan Visser beim Literarischen Sommer in der Stadtbibliothek aus dessen Roman "Der blaue Vogel kehrt zurück". Weil der Niederländer die deutsche Sprache für eine Lesung nicht gut genug beherrscht. Aber dass er sich durchaus verständlich machen kann, zeigt er im Gespräch mit Christine Breitschopf.

Die Bibliothekarin gehört seit gut vier Wochen zum Team der Stadtbibliothek, ist zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und das Veranstaltungsprogramm. Das Gespräch mit dem Autor zeigt zwar ihr großes fachliches Wissen, aber inspirierend ist es nicht. Moderation ist nicht jedermanns Sache und muss auch nicht jeder können. Ob es nun daran liegt oder nicht - Institutsleiter Alwin Müller-Jerina wäre besser beraten, gerade beim renommierten Literarischen Sommer auf eine professionelle Moderation zu setzen. Denn der Reiz einer Lesung liegt nicht nur in der Literatur, sondern auch im Miteinander von Autor, Moderator und Publikum. Selten kommt es bei einer Lesung vor, dass überhaupt keine Frage an den Autor aus dem Publikum kommt - in diesem Fall wundert es nicht. Zumal da die Aufstellung des Abends mit der Aufforderung, schon zwischendurch Fragen zu stellen, nicht sonderlich glücklich ist, wenn dafür kaum Raum angeboten wird.

Sehr glücklich hingegen ist die Entscheidung, zum Vorlesen einen Profi wie Stefan Filipiak zu engagieren. Vissers spontaner Kommentar nach den ersten Kapiteln, "das war schön, als ob ich ein anderes Buch gehört hätte, gar nicht meines!", spricht Bände und vermutlich manchem, der den Roman vorher schon gelesen hat, auch aus dem Herzen. Die Kapitel sind geschickt ausgewählt, vermitteln einen wunderbaren Eindruck vom Denken und Fühlen der Hauptfigur Jonah Jacobson, der im Alter von 89 Jahren und nach fast sieben Jahrzehnten Abwesenheit nach Amsterdam zurückkehrt. Von dort war der Sohn jüdischer Eltern kaum 20-jährig 1942 nach Brasilien geflohen. Jetzt will er noch klären, wie seine vor Jahren unerkannt getätigte finanzielle Wiedergutmachung bei seiner Fluchthelferin Linda angekommen ist. Sie hatte sich ein Hotel gekauft, in dem er nun absteigt. Diese Rückkehr ist eine in jeder Hinsicht: Jonah Jacobson stirbt in seiner alten Heimat.

Das Sterben des Vaters seiner Freundin hat in Visser das Nachdenken über diesen Roman in Gang gesetzt. "Er war schon ein Studienobjekt", sagt der 54-Jährige mit leichter Beschämung, "ich weiß, das ist schrecklich, aber war gut für das Buch." Er habe sich in den Körper und den Kopf des Sterbenden hinein gedacht und gefragt: "Was geht in ihm vor, wenn er sich unter der Bettdecke versteckt oder wie abwesend wirkt?"

Für seinen Jonah Jacobson hat er dafür sehr eindrückliche Bilder gefunden. Überhaupt scheint es so, dass er, der auch als Journalist arbeitet, Realität so gut abstrahieren kann, dass daraus ein Stück Literatur entsteht. Auch das "Hotel Linda", so der niederländische Originaltitel des Romans, gibt es wirklich. Und schmunzelnd erzählt Arjan Visser, wie er darauf gekommen ist. In die Oma seiner Freundin hatte sich ein Brasilianer verliebt: "Er stand einfach vor ihrer Tür, als der Opa gestorben war. Aber sie hat ihn weggeschickt, und er stieg im Hotel Linda ab, wo er schwer krank wurde."

(NGZ)
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