Neuss Der "Minimal-Neusser"

Neuss · Der Bildhauer Bruno Raetsch wurde 1963 in der Quirinusstadt geboren, ist aber in Potsdam aufgewachsen. Erst nach der Wende lernte er das Zuhause seiner in Neuss lebenden Großeltern kennen.

 Bildhauer Bruno Raetsch lebt und arbeitet heute in Dresden.

Bildhauer Bruno Raetsch lebt und arbeitet heute in Dresden.

Foto: Privat

Er selbst nennt sich lachend einen "Minimal-Neusser" und könnte es wohl auch kaum passender sagen. Der in Dresden lebende und arbeitende Bildhauer Bruno Raetsch wandelt damit humorvoll ab, was bei vielen anderen Menschen beim Gespräch über ihre Herkunft in den Satz mündet: "Ich bin da nur geboren..." Denn auch Reatsch ist nur in Neuss geboren. 1962, weil seine Eltern just zu diesem Zeitpunkt in der Quirinusstadt weilten. Das Künstlerehepaar Karl und Barbara Raetsch — beide sind Maler — lebte eigentlich in Potsdam. Er kam aus Berlin, hatte seine in Pirna geborene Frau während des Studiums in Dresden kennengelernt. 1958 ließ sich das Paar in Potsdam nieder. Und dort wäre der erste Sohn Bruno wohl auch geboren worden — wenn nicht die Mauer gebaut worden wäre.

"Meine Großeltern waren schon in den Westen gegangen", erzählt Raetsch, denn als Anwalt habe sein Großvater mehr und mehr Probleme mit dem DDR-Regime gehabt. Walter Jahn, der Vater von Barbara Raetsch, arbeitete Ende der 50er Jahre bereits im Rheinland, und weil auch Schwiegersohn Karl als Künstler in Potsdam "nicht mehr zurechtkam", folgte das junge Paar dem Älteren und kam auf diese Weise nach Neuss, wo Lisa und Walter Jahn wohnten. Letzter Auslöser für diesen Schritt war laut Bruno Raetsch der Umstand, dass "die Grenze dichtgemacht wurde".

Der Erstgeborene kam also in Neuss auf die Welt, aber wuchs dort nicht auf. Denn Vater Karl, der an der Hochschule der Bildenden Künste Dresden studiert hatte, sah für sich in Neuss "keine Chance, als Künstler was zu werden", erklärt der Sohn. Trotz Kunstakademie und auch nicht in einem Grafikbüro. "Er hat sich wohl zutiefst wieder zurück nach Potsdam gesehnt", sagt Bruno Raetsch, so dass die Familie wieder zurückging.

Brunos Bruder Robert — heute ebenfalls ein Bildhauer — hat denn auch 1966 Potsdam als Geburtsort in seinem Ausweis stehen. Dass alle vier Mitglieder dieser Familie Künstler wurden, muss fast ein Affront für den Großvater gewesen sein: "Kunst in der eigenen Familie war für ihn die Pest", sagt der Enkel. Den Neusser, der vor zehn Jahren gestorben ist, hat er in den Jahren danach nur ein Mal gesehen. Denn im Gegensatz zur Großmutter Lisa hat sich Walter Jahn geweigert, in den Osten zu reisen, um die Tochter und deren Familie zu besuchen. Erst nach der Wende 1989 kam es zu einem Wiedersehen mit dem Großvater: "Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich ihn das erste Mal erblickte", sagt Bruno Raetsch, "da stand er vor dem Haus an der Fontanestraße, so groß, bestimmt knapp zwei Meter, und schon ein wenig gebeugt."

Heute, nach dem Tod der Großeltern, fehlt Bruno Raetsch jede Verbindung nach Neuss. Verwandte hat er dort nicht mehr. Mutter Barbara lebt und arbeitet als Malerin auch nach dem Tod ihres Mannes (2004) weiter in Potsdam, wo sie gemeinsam mit Karl Raetsch ab 1979 die ehemalige Friedhofskapelle in Potsdam-Hermannswerder zum Atelier und zur Galerie ausgebaut hatte. Dort arbeitet auch sein Bruder Robert.

(NGZ/rl)
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