Neuss Der Mann, der den Winter entzaubert

Neuss · Andreas Süß arbeitet seit 16 Jahren im Räumdienst bei der AWL. Vom Schnee hat er auch nach harten Tagen nie genug.

 Ein Mann und sein Arbeitsgerät: Am Mischpult im Fahrerhaus steuert Andreas Süß die Salzmenge und die Breite, mit der er streut. Von dort empfängt er Nachrichten von der Zentrale und bekommt Hinweise, wo noch zu räumen ist.

Ein Mann und sein Arbeitsgerät: Am Mischpult im Fahrerhaus steuert Andreas Süß die Salzmenge und die Breite, mit der er streut. Von dort empfängt er Nachrichten von der Zentrale und bekommt Hinweise, wo noch zu räumen ist.

Foto: Hammer

Andreas Süß liebt es, wenn es draußen weiß ist. Er liebt den Winter. Wenn er am frühen Morgen durch den unberührten Schnee fährt, dann habe das seinen ganz eigenen Zauber. "Ich muss dieses Bild dann entzaubern", sagt Süß.

Er ist einer von 40 Fahrern des Räum- und Streudienstes der Abfall- und Wertstofflogistik Neuss (AWL), einer Stadtwerke-Tochter, und häuft derzeit durch diese berufsmäßige Entzauberung des Winters eine Mange Überstunden an und hat so manch viel zu kurze Nacht. "Da springt man aus dem Bett, wenn das Telefon klingelt", sagt der 46-Jährige. Einer seiner Kollegen scherze, er würde nur noch mit Gummistiefeln ins Bett gehen, um schnell starten zu können, wenn die Polizei oder die Bus- und Kontrollfahrer Schneefall oder Eisglätte gemeldet haben.

Gestern hatte Süß, der mit seinem Schneepflug regelmäßig die Straßen in der Innenstadt von Schnee und Eis befreit, aber Glück: Er hatte keine Rufbereitschaft und saß daher "erst" um sieben im Fahrerhäuschen des 240-PS-Kolosses mit den rund drei Tonnen Salz an Bord. Seine Kollegen waren seit 2.30 Uhr unterwegs, um einen Kollaps im Berufsverkehr auf den Neusser Straßen zu verhindern. Doch Stress hatte Süß dennoch: Die Lichtanlage seines Räumfahrzeugs war defekt und so musste er das Ersatzfahrzeug nehmen, mit dem sonst der Hafen geräumt wird.

"Der hier, unsere Nummer 121, fährt sich anders, beschleunigt besser. Der hat mehr PS unter der Haube", sagt der ehemalige Berufssoldat, der beim Bund seinen Lkw-Führerschein sowie später eine Ausbildung zum staatlich geprüften Erzieher gemacht hat. Seit 16 Jahren ist er für die Stadtwerke auf den verschneiten Straßen — im Sommer mit den Kehrfahrzeugen — unterwegs. Sein Revier kennt er blind. Er weiß, wo es eng wird, wo seitlich nur wenige Zentimeter zu den geparkten Autos bleiben, und wo Bushaltestellen sind. "Da brettere ich natürlich nicht mit 30 km/h vorbei. Ich will ja die Wartenden nicht mit dieser braunen Brühe vollspritzen", sagt der Pflugfahrer. Von daher begegneten ihm die meisten Menschen sehr freundlich.

Eine Frau kommt ihm auf der gerade von ihm geräumten Straße entgegen: "Hallo Renate", ruft Süß aus dem halb geöffneten Fenster hinunter zu der Fußgängerin. "Hallo Andreas. Schön, dass du hier räumst", ruft sie zurück.

Dass Süß die Anwohner duzt, ist die Ausnahme. "Ich kenne keine Namen, nur die Gesichter", sagt er. Die der Berufspendler, an deren Straßen er räumt und Salz streut und auch die der Hausbesitzer, die mit der Schippe in der Hand Süß' Job in klein erledigten und ihm winken, wenn der Mann in dem Wagen mit der 2,50 breiten Schaufel an ihnen vorbeifährt und über den Streuteller hinten am Fahrzeug Salz auf der Fahrbahn verteilt.

Ob er 20, 30 oder 40 Gramm Salz pro Quadratmeter streut und auf einer Breite von fünf oder gar bis zu acht Metern, entscheidet er nach der Schneemenge. Gestern reichten 20 Gramm auf fünf Metern Breite. In den Hafen fährt Süß auch manchmal. "Der hat seit ein paar Jahren höchste Priorität wie die Hauptstraßen", erzählt Süß.

Denn über erst später geräumte Straßen sei der frühe Lieferverkehr früher ins Stocken geraten, Lkw hätten sich quergestellt und der Verkehr habe sich bis zur Kardinal-Frings-Brücke zurückgestaut. Einmal hat Süß sogar Erste Hilfe geleistet. In dem harten Winter vor zwei Jahren stand ein Lkw seit Stunden quer, andere Lastwagen kamen nicht weiter. Immer, wenn der Fahrer Gas gab, passierte nichts, außer dass die Reifen durchdrehten.

Da ließ Süß schlichtweg ein wenig von seinem Salz ab, und die Lkw-Fahrer schippen es unter die Reifen. "Da konnten sie dem Schnee beim Schmelzen zusehen", sagt Süß. Nach Schichtende hat er aber mitnichten genug von der weißen Pracht: Der leidenschaftliche Skifahrer baut dann oft mit seinen Töchtern (neun und elf Jahre alt) einen Schneemann.

(NGZ/rl)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort